Zum Ermessen bei in Deutschland geborenen Kindern mit aufenthaltsberechtigtem Elternteil:
1. Gemäß § 33 Satz 1 AufenthG kann einem im Bundesgebiet geborenen Kind eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Bei der Ausübung des Ermessens muss die Situation des Kindes umfassend in den Blick genommen werden, insbesondere das Kindeswohl, die mit dem Gesetz verfolgte Integrationserleichterung in Deutschland geborener Kinder und die Verwurzelung des Elternteils, von dem der Aufenthalt abgeleitet wird.
2. Gemessen an den Zielen des § 33 AufenthG handelt die Ausländerbehörde ermessensfehlerhaft, wenn sie ihre Entscheidung im Wesentlichen davon abhängig macht, ob die familiäre Lebensgemeinschaft im Ausland geführt werden kann. Ebenso ist es verfehlt, wenn die Behörde nicht ausreichend auf die vom aufenthaltsberechtigten Elternteil geltend gemachte (wirtschaftliche) Integration in Deutschland eingeht.
3. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis führt bei verspäteter Antragstellung (vgl. § 81 Abs. 2 S. 2 AufenthG) dazu, dass der antragstellenden Person (nur) eine Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 S. 2 AufenthG zusteht. Diese berührt weder die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht noch die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf OVG Niedersachsen, Beschluss vom 04.02.2021 - 8 ME 2/21 - asyl.net: M29360; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.03.2021 - 11 S 3421/20 - asyl.net: M29537; BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 - 2 BvR 524/01 - asyl.net: M7471)
[...]
Die Beschwerde der Antragsteller ist teilweise begründet. Das Beschwerdevorbringen [...] rechtfertigt eine Änderung der angegriffenen Entscheidung, soweit die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnisse [...] begehren.
Die Beschwerde beanstandet zu Recht, dass der Antragsgegner das ihm nach § 33 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht fehlerfrei ausgeübt hat. Danach kann einem Kind, das im Bundesgebiet geboren wird, abweichend von den §§ 5 und 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Elternteil einen der dort genannten Aufenthaltstitel besitzt. [...] Bei der Ausübung des Ermessens muss die Situation des Kindes umfassend in den Blick genommen werden, insbesondere das Kindeswohl, die mit dem Gesetz verfolgte Integrationserleichterung in Deutschland geborener Kinder und die Verwurzelung des Elternteils, von dem der Aufenthalt abgeleitet wird [...].
Diesen Anforderungen werden – worauf die Beschwerde zutreffend hinweist – die Ermessenserwägungen des Antragsgegners in seinem Bescheid vom 6. Juni 2023 nicht hinreichend gerecht, § 114 Satz 1 VwGO. Weder das Fehlen einer nachhaltigen Integration der Antragsteller im Bundesgebiet noch das fehlende Aufenthaltsrecht der Mutter stellen das Ermessen sachgerecht leitende Gesichtspunkte dar. Die fehlende Integration von Kleinkindern bzw. deren Integrationsfähigkeit im Heimatstaat liegt auf der Hand und die Vorschrift räumt Ermessen gerade auch für den Fall ein, dass lediglich ein Elternteil einen der dort genannten Aufenthaltstitel besitzt. Ferner rügt die Beschwerde zu Recht, dass das Argument, aus dem Aufenthaltsrecht des Kindesvaters könne nicht automatisch ein Aufenthaltsrecht für die Kinder abgeleitet werden, zu kurz greift. Der Antragsgegner geht damit nicht ausreichend auf die von dem Vater der Antragsteller geltend gemachte wirtschaftliche Integration in Deutschland ein, zu der auch die behauptete Aussicht auf eine Niederlassungserlaubnis zählt. [...]
Auch wenn die Ausländerbehörde grundsätzlich berücksichtigen darf, ob die familiäre Lebensgemeinschaft im Ausland geführt werden kann [...], wird damit - gemessen an den Zielen des § 33 AufenthG - ein zu enger Maßstab angelegt.
Die danach gebotene Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage führt allerdings nur dazu, dass den Antragstellern (erneut) die Duldungsfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zusteht. Die Beschwerde [...] wendet sich nicht mit Erfolg gegen die erstinstanzliche Würdigung, die Anträge hätten keine Erlaubnisfiktion gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgelöst, weil sie nach der Geburt nicht innerhalb der Antragsfrist des § 81 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gestellt worden seien [...].
Da den Antragstellern dem Verwaltungsgericht zufolge nur eine Duldungsfiktion zu Gute kommt, was sie – wie ausgeführt – nicht erfolgreich angegriffen haben, gilt ihre Abschiebung lediglich als ausgesetzt; dies führt weder die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht noch die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung. [...]