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VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Beschluss vom 02.08.2024 - 2 K 1910/24.GI.A - asyl.net: M32633
https://www.asyl.net/rsdb/m32633
Leitsatz:

Unbilligkeit der Untätigkeitsklage bei Verzögerungsmitteilung des BAMF:

1. Informiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die asylsuchende Person, dass nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von 6 Monaten über den Asylantrag entschieden werden könne, verlängert sich hierdurch die Entscheidungsfrist auf höchstens 15 Monate. Die Gründe für die Verzögerung sowie den Zeitrahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist, muss das Bundesamt der asylsuchenden Person gemäß § 24 Abs. 8 Halbsatz 2 AsylG erst auf Verlangen mitteilen.

2. Eine asylsuchende Person, die vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist schriftlich über die Entscheidungsverzögerung informiert wird, kann grundsätzlich nicht vor Ablauf von fünfzehn Monaten seit Stellung ihres Asylantrags mit seiner Bescheidung rechnen, es sei denn, ihr wird vom Bundesamt ein kürzerer Zeitrahmen genannt. Die Erhebung einer Untätigkeitsklage vor Ablauf der Entscheidungsfrist ist unbillig. Die asylsuchende Person hat in diesem Fall die Kosten des Klageverfahrens zu tragen.

(Leitsätze der Redaktion; entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts, wonach es sich bei der Verzögerungsmitteilung und der Entscheidung über die Fristverlängerung um zwei getrennte, voneinander abzugrenzende Vorgänge handele)

Schlagwörter: Untätigkeitsklage, Dauer des Asylverfahrens, Verfahrensdauer, Kosten, Verfahrenskosten, Billigkeit,
Normen: AsylG § 24 Abs. 4, AsylG § 24 Abs. 8, RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 6 Bst. a, RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Über die gesamten Kosten des Verfahrens ist gem. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden [...].

Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen, weil er nicht vor Erhebung der Untätigkeitsklage am 11.06.2024 mit seiner Bescheidung rechnen durfte.

Nachdem der Kläger am 10.10.2023 seinen Asylantrag gestellt hatte, durfte er zunächst zwar dem gesetzlichen Fristenregime folgend mit der Bescheidung dieses Antrags binnen sechs Monaten rechnen (Art. 31 RL 2013/32/EU – Asylverfahrensrichtlinie = AsylVfRL – in Verbindung mit § 24 Abs. 4 bis Abs. 8 AsylG). Vorliegend wurde der Kläger allerdings vor Ablauf der Sechsmonatsfrist mit Schreiben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.03.2024 darüber informiert, dass aufgrund der Arbeitsbelastung des Bundesamtes nicht innerhalb der gesetzlichen Frist über seinen Antrag entschieden werden könne. Mit Versendung dieser auf Art. 31 Abs. 6 Buchstabe a) AsylVfRL, § 24 Abs. 8 Halbsatz 1 AsylG beruhenden Verzögerungsmitteilung hat das Bundesamt von der ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, wegen der gerichtsbekannten, seit etwa 2022 erheblich angestiegenen Asylantragszahlen die Entscheidungsfrist auf höchstens fünfzehn Monate zu verlängern (Art. 31 Abs. 3 Unterabsatz 3 Buchstabe b) AsylVfRL, § 24 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AsylG).

Zwar enthält die Verzögerungsmitteilung vom 20.03.2024 keinen expliziten Hinweis auf einen derartigen Entscheidungsprozess des Bundesamtes, auch existiert hierzu kein separater Aktenvermerk in den Behördenvorgängen, dies war jedoch auch nicht notwendig. Denn es ergibt sich schon aus der Formulierung in Art. 31 Abs. 6 Buchstabe b) AsylVfRL, § 24 Abs. 8 Halbsatz 2 AsylG, dass das Bundesamt die Gründe für die Verzögerung sowie den Zeitrahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist, erst auf Verlangen des Asylbewerbers mitteilen muss. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass es genügt, wenn sich die Verlängerung der Entscheidungsfrist von sechs auf bis zu fünfzehn Monate in der Verzögerungsmitteilung gemäß Art. 31 Abs. 6 Buchstabe a) AsylVfRL, § 24 Abs. 8 Halbsatz 1 AsylG manifestiert, ohne dass es im Text der Verzögerungsmitteilung eines expliziten Hinweises hierauf bedürfte oder die Gründe für die Verzögerung näher ausgeführt werden müssten. [...]

Im Ergebnis kann ein Asylbewerber, der vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist schriftlich über die Entscheidungsverzögerung informiert wird, grundsätzlich nicht vor Ablauf von fünfzehn Monaten seit Stellung seines Asylantrags mit seiner Bescheidung rechnen, es sei denn, ihm wird auf sein Verlangen vom Bundesamt ein kürzerer Zeitrahmen genannt. [...]