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OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 11.06.2024 - 3 D 11/24 - asyl.net: M32625
https://www.asyl.net/rsdb/m32625
Leitsatz:

Zur Auslegung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis: 

1. Beantragt ein*e Ausländer*in eine Aufenthaltserlaubnis ohne weitere Eingrenzung, so ist der Antrag nach jeder in Betracht kommenden Vorschrift zu beurteilen. Wird als Aufenthaltszweck Tourismus angegeben, aus der Akte ergibt sich aber ohne weiteres ein Aufenthalt von bereits 20 Jahren im Bundesgebiet, ist es naheliegend, einen Aufenthaltszweck aus humanitären Gründen in Erwägung zu ziehen. 

2. Bei der Bemessung der Ausreisefrist ist zwischen dem öffentlichen Interesse an der baldigen Ausreise des/der Ausländer*in und dessen/deren privaten Belangen abzuwägen. Neben der Art des bisherigen Aufenthalts ist regelmäßig dessen Dauer von Bedeutung, weil nach längerem Aufenthalt im Bundesgebiet die vor der Ausreise erforderliche Regelung der eigenen Angelegenheiten im Allgemeinen mehr Zeit beansprucht als nach einem kurzen Verbleiben. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Aufenthaltsrecht, Auslegung eines Antrages, Ausreisefrist, Fiktionswirkung
Normen: AufenthG § 59 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 59 Abs. 1 S. 4, AufenthG § 50 Abs. 1, AufenthG § 81 Abs. 4 S. 1, BGB § 133, BGB §157
Auszüge:

[...]

Bei einem nicht anwaltlich vertretenen Ausländer ist in der Regel davon auszugehen, dass dieser den Antrag stellen und aufrechterhalten will, der nach Lage der Sache seinen Belangen entspricht und der gestellt werden muss, um das erkennbar angestrebte Ziel zu erreichen [...]. Legt der Ausländer ohne weitere Eingrenzung einen Lebenssachverhalt dar, der einem oder mehreren in den Abschnitten 3 bis 7 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes genannten Aufenthaltszwecke zuzuordnen ist, ist sein Antrag nach jeder bei Würdigung des vorgetragenen Lebenssachverhalts in Betracht kommenden Vorschrift des betreffenden Abschnitts zu beurteilen [...]. So entsprach der erklärte Zweck des Aufenthalts, der mit "Tourismus" angegeben worden war, bereits offensichtlich nicht dem wirklichen Willen der Antragstellerin, die sich seit über zwanzig Jahren in der Bundesrepublik aufgehalten hatte. Bereits dieser Umstand, der auch nach Aktenlage ohne weiteres erkennbar war, legt es nahe, ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen in Erwägung zu ziehen. Jedenfalls aber die ausführliche Begründung der Antragstellerin vom 25. September 2023, mit der sie umfangreich darlegte, warum sie in der Bundesrepublik bleiben wolle, hätte möglicherweise noch zur weiteren Auslegung dieses Antrags herangezogen werden können [...]. So verweist sie darin nicht nur auf ihren langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik, sondern auch auf ihre enge Beziehung zu der in Deutschland lebenden Tochter und ihre ihrer Meinung nach gegebene Integration in die hiesige Gesellschaft sowie auf Schwierigkeiten, sich in eine andere Gesellschaft einzuleben. Sie trägt vor, sich in Vietnam, obwohl es ihr Heimatland sei, aufgrund ihres Alters nur noch schlecht anpassen zu können. Damit dürfte sie sinngemäß geltend gemacht haben, eine sogenannte faktische Inländerin zu sein und sich auf ein humanitäres Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK zu berufen. [...]

Ausgehend davon hat die Behörde bei der Entscheidung über die Bemessung der Ausreisefrist zwischen dem öffentlichen Interesse an der baldigen Ausreise des Ausländers und dessen privaten Belangen abzuwägen. Die Ausreisefrist soll es dem Ausländer ermöglichen, seine beruflichen und persönlichen Lebensverhältnisse im Bundesgebiet abzuwickeln und einer Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise zuvorzukommen. Neben der Art des bisherigen Aufenthalts ist regelmäßig dessen Dauer von Bedeutung, weil nach längerem Aufenthalt im Bundesgebiet die vor der Ausreise erforderliche Regelung der Angelegenheiten des Ausländers im allgemeinen mehr Zeit beansprucht als nach einem kurzfristigen Verbleiben. Welche Frist dem einzelnen Ausländer einzuräumen ist, beurteilt sich unter Berücksichtigung der dargestellten Gesichtspunkte nach den Umständen des Einzelfalles. [...]