BlueSky

VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.07.2024 - 12 S 1025/23 - asyl.net: M32620
https://www.asyl.net/rsdb/m32620
Leitsatz:

Vollziehbarkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots: 

"Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entfaltet seine in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG bestimmten Rechtsfolgen nicht allein aufgrund seiner Wirksamkeit. Vielmehr bedarf es dafür seiner sofortigen Vollziehbarkeit oder seiner Bestandskraft (im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 17.05.2023 - 1 VR 1.23 -, juris Rn. 17)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einreise- und Aufenthaltsverbot, Wirksamkeit, Rechtsfolge, Beschwerde, sofortige Vollziehung
Normen: VwGO § 146 Abs. 4 S. 6, VwGO § 80 Abs. 5, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3, AufenthG § 84 Abs. 1 Nr. 7
Auszüge:

[...]

Die [...] Beschwerde des Antragstellers gegen den am 14.06.2023 zugestellten, angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg ist zulässig, aber nicht begründet. [...]

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist nämlich jedenfalls im Ergebnis zutreffend. [...]

2. Hier überwiegt das Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Antragstellers deutlich, weil die Ablehnung der begehrten Aufenthaltserlaubnis derzeit offensichtlich rechtmäßig ist.

8 Die Verlängerung der dem Antragsteller nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV erteilten Aufenthaltserlaubnis ist schon deswegen ausgeschlossen, weil der Vertreter des Antragsgegners nicht nur diese Verlängerung abgelehnt hat, sondern den Antragsteller anknüpfend an dessen Verurteilung zu einer - zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ausgewiesen und ein an die Ausweisung anknüpfendes, auf sechs Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot verfügt hat. Aufgrund der sofortigen Vollziehbarkeit dieses Einreise- und Aufenthaltsverbots, die im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen ist, hat eine Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit hier zu unterbleiben. [...]

b) Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist unter anderem gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut das Bundesgebiet und das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der anderen Schengen-Staaten einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden, § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG.

c) Das von dem Regierungspräsidium Freiburg verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar und entfaltet daher die in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vorgegebenen Wirkungen.

Nach § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG haben Widerspruch und Klage gegen die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Einreise- und Aufenthaltsverbots und bis einschließlich zum 26.02.2024 war nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG a.F.) bestimmt, dass Widerspruch und Klage gegen die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG keine aufschiebende Wirkung haben. Aufgrund dieser Regelungen in § 84 AufenthG kam und kommt der Klage des Antragstellers gegen das verfügte Einreiseverbot [...] keine aufschiebende Wirkung zu.

aa [...] Mit der Änderung des Wortlauts des § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung vom 21.02.2024 (BGBl. I Nr. 54) ist klargestellt, dass Widerspruch und Klage gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG keine aufschiebende Wirkung haben. [...]

cc) Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entfaltet seine in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG bestimmten Rechtsfolgen nicht allein aufgrund seiner Wirksamkeit. Vielmehr bedarf es dafür seiner sofortigen Vollziehbarkeit oder seiner Bestandskraft.

Mit der klarstellenden Rechtsänderung durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung vom 21.02.2024 [...] wird nunmehr unmittelbar deutlich, dass die gesetzlich angeordnete Rechtsfolge der Titelerteilungssperre nicht mehr allein aufgrund der Wirksamkeit eines Einreise- und Aufenthaltsverbots eintritt [...]. Doch gilt dies auch für die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung. Denn sowohl mit der analogen Anwendung des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG a.F. als auch mit der nunmehr klaren gesetzlichen Anordnung ist es der einheitliche Verwaltungsakt, der sich aus den untrennbaren Teilen Anordnung und Befristung zusammensetzt [...] und der nach der insoweit eindeutigen gesetzlichen Wertung kraft gesetzlicher Anordnung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) sofort vollziehbar ist. Diese Vollziehbarkeit ist - trotz der unabhängig von der Frage der Vollziehbarkeit bestehenden Wirksamkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots - damit Voraussetzung für das Eintreten der Rechtsfolgen, wie sie in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG festgelegt sind. Dieses Verständnis entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts [...] und anerkennt die gesetzliche Anordnung des Entfalls der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen. Ein abweichendes Verständnis, das die Rechtsfolgen des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG schon bei einem schlicht wirksamen Einreise- und Aufenthaltsverbot annehmen möchte, vermag die Bedeutung der Vollziehbarkeit dieses Verbots nicht zu erklären. Denn das einzig nicht im Gesetz angeordnete Element des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist seine konkrete zeitliche Geltung, die aber aufgrund der untrennbaren Verbindung von Anordnung und Befristung des Verbots nicht isoliert angegriffen werden kann. Daher ergibt eine systematische Auslegung des § 11 Abs. 1 AufenthG und des § 84 AufenthG, dass die Rechtsfolgen des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens allein von einem vollziehbaren Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgehen.

dd) Es steht der Vollziehbarkeit des ausweisungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots und dem Eintreten der Rechtsfolgen aus § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht entgegen, dass der Antragsteller seit dem Ergehen der Verfügung noch nicht aus dem Hoheitsgebiet der Schengen- Staaten ausgereist ist. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zwar entschieden, dass das Wirksamwerden eines Einreiseverbots im Sinne von Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG es voraussetzt, dass der Betroffene das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlässt [...].

Allerdings knüpft das vom Vertreter des Antragsgegners verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot allein an die Ausweisung an, was sich unzweifelhaft aus dem Wortlaut ergibt ("Sie dürfen aufgrund dieser Ausweisung für die Dauer von 6 Jahren weder in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten"). Ein solches allein ausweisungsbedingtes Einreise- und Aufenthaltsverbot, ist aber kein Einreiseverbot nach der Rückführungsrichtlinie. Denn die Ausweisung ist keine Rückkehrentscheidung [...], an die ein solches unionsrechtliches Einreiseverbot anknüpfen könnte. Daher ist der Beginn der Wirksamkeit des hier verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht unionsrechtlich determiniert. [...]

d) Das von dem verfügten, vollziehbaren Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgrund der Bestimmung in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausgehende Verbot, dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel zu erteilen, hat zur Folge, dass sich die Entscheidung des Vertreters des Antragsgegners, die begehrte Verlängerung des Aufenthaltstitels des Antragstellers abzulehnen, derzeit als rechtmäßig erweist. Nur dann, wenn die Vollziehbarkeit oder gar die Wirksamkeit dieser Entscheidung beseitigt wird, kann eine Titelerteilung in Betracht kommen.

Steht nun aber das vollziehbare Einreise- und Aufenthaltsverbot aus § 11 Abs. 1 AufenthG aufgrund der Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels zwingend entgegen, bedarf es hier keiner Würdigung der Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, um festzustellen, dass sich die angegriffene Entscheidung derzeit als rechtmäßig darstellt. [...]