Kein Duldungsanspruch bei bloßem Unterlassen der Vollstreckung der Ausreisepflicht:
"1. Ein Ausländer ist "geduldet" im Sinne von § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004), wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat (Rn. 14).
2. Hat die Ausländerbehörde eine Duldung nicht erteilt, die Vollstreckung der Ausreisepflicht aber auch nicht betrieben, vermittelt ein solches Unterlassen allein einen Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) nicht (Rn. 16)."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
1. Die Antragsgegnerin hat mit der Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst beschränkt ist, die Argumentation des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin sei im Zeitraum vom 1. April 2019 bis zum 27. Mai 2020 als geduldet im Sinne von § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzusehen, weil sie einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gehabt habe, erschüttert. Die Antragsgegnerin hat nachvollziehbar dargelegt, es sei nicht erkennbar, dass die Abschiebung rechtlich oder tatsächlich unmöglich gewesen sei. Aus dem bloßen Nichtbetreiben der Vollstreckung der Ausreisepflicht könne ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht auf die Unmöglichkeit der Abschiebung geschlossen werden. [...]
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Ausländer geduldet, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist, oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat (zu § 25b AufenthG [...].
Ein Rechtsanspruch auf Duldung ist jedenfalls dann ohne weiteres ausreichend, wenn die Abschiebung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Da die Behörde bei Vorliegen dieser Voraussetzungen verpflichtet ist, dem Ausländer eine Duldung von Amts wegen zu erteilen [...], kann es diesem nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie dieser Pflicht im Einzelfall trotz Vorliegens der Voraussetzungen nicht nachkommt und den Aufenthalt lediglich faktisch duldet [...]. Umgekehrt bedarf es im Falle einer ausdrücklich erteilten Duldung nicht zusätzlich eines materiellen Duldungsanspruchs [...].
Hat die Ausländerbehörde eine Duldung nicht erteilt, die Vollstreckung der Ausreisepflicht aber auch nicht betrieben, vermittelt ein solches Unterlassen allein einen Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht. Zwar lässt die Systematik des Aufenthaltsgesetzes grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer entweder abgeschoben wird oder zumindest eine Duldung erhält. Die tatsächliche Hinnahme des Aufenthalts außerhalb förmlicher Duldung, ohne dass die Vollstreckung der Ausreisepflicht betrieben wird, sieht das Gesetz nicht vor [...]. Das bloße Nichtbetreiben der Vollstreckung der Ausreisepflicht erfüllt für sich allein jedoch keinen der gesetzlich normierten Duldungstatbestände. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände kann insbesondere nicht auf eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung geschlossen werden [...].
b) Gemessen an diesen Anforderungen hat sich die Antragstellerin im Zeitraum vom 1. April 2019 bis zum 27. Mai 2020 nicht "geduldet" im Sinne von § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Bundesgebiet aufgehalten. In diesem Zeitraum hat die Antragsgegnerin ihr eine rechtswirksame Duldung nicht erteilt. Sie hatte auch keinen Rechtsanspruch auf Duldung. [...]
Die Erteilung einer Duldung ist ein Verwaltungsakt, deren Regelungsgehalt sich in dem Verzicht der Ausländerbehörde auf Abschiebung erschöpft [...]. Demzufolge ist eine Duldung grundsätzlich auch dann zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar möglich ist, die Ausreisepflicht des Ausländers aber nicht ohne Verzögerung, die über den für die Vorbereitung einer Abschiebung üblicherweise erforderlichen Zeitraum hinausgeht, durchgesetzt werden kann [...]. Die Antragstellerin hat in dem hier maßgeblichen Zeitraum weder die Erteilung einer Duldung beantragt und in Erfüllung ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ihre Belange und für sie günstige Umstände geltend gemacht noch den Bitten der Antragsgegnerin um Vorsprache Folge geleistet, obwohl ihr dies möglich und zumutbar gewesen wäre. Zudem hat die Antragsgegnerin nach Aktenlage nicht entschieden, dass sie die Antragstellerin nicht abschieben werde. [...] Aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin bis dahin keine Maßnahmen für eine Abschiebung getroffen hat, kann nicht geschlossen werden, dass diese eine Entscheidung darüber getroffen hatte, die Antragstellerin nicht abzuschieben. Ebenso kann aber - ohne dass es darauf noch ankäme - auch dem weiteren Verfahrenslauf nicht entnommen werden, dass die Antragsgegnerin eine Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung getroffen hatte. [...]