Durchsetzung des Betretensrechts zu einer Wohnung mittels einer Ramme:
1. Das gewaltsame Aufbrechen einer Tür mittels einer Ramme dient der Durchsetzung des Betretensrechts nach § 58 Abs. 5 S. 1 AufenthG im Wege des unmittelbaren Zwangs. Die Intensität der Maßnahme erfüllt nicht die Voraussetzungen des gezielten Suchens nach Personen oder Sachen in dem Wohnraum gem. § 58 Abs. 6 AufenthG.
2. Die bloße Aufforderung, sich auszuweisen, erfüllt ebensoweinig die Voraussetzungen des gezielten Suchens nach Personen oder Sachen im Sinne des § 58 Abs. 6 AufenthG.
3. EIne vorübergehende Einbehaltung von Mobiltelefon, Kopfhörern und Portemonnaie durch Polizeibeamte während der Verbringung zum Flughafen ist rechtmäßig, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren und bedarf keiner Bescheinigung.
(Leitsätze der Redaktion, mit der Entscheidung wurde das Urteil vom VG Berlin, vom 04.10.2021 - 10 K 383.19 (Asylmagazin 1-2/2022 ff.) - asyl.net: M30091 aufgehoben)
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Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Auf die Berufung des Beklagten ist hingegen das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Die Klage hat weder hinsichtlich der erstrebten Feststellung, dass das Betreten des Zimmers des Klägers in der Unterkunft eine rechtswidrige Durchsuchung gewesen sei, noch hinsichtlich des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sicherstellung von Mobiltelefon, Portemonnaie und Kopfhörer des Klägers Erfolg. [...]
In das Grundrecht des Klägers auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung ist dadurch eingegriffen worden, dass die Polizeibeamten den Raum ohne sein Einverständnis betreten haben. Dies war aber nach § 58 Abs. 5 Satz 1 AufenthG gerechtfertigt. Es handelte sich nicht um eine Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG, § 58 Abs. 6 AufenthG, für die es einer richterlichen Anordnung bedurft hätte. [...]
Die Polizeibeamten haben die Wohnung des Klägers im Sinne des § 58 Abs. 5 Satz 1 AufenthG betreten, nicht nach § 58 Abs. 6 AufenthG durchsucht. [...] Demgemäß macht die beim Betreten einer Wohnung unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer Durchsuchung. Auch die bloße Aufforderung an die sich in einer Wohnung aufhaltenden Personen, den Raum zu verlassen, stellt keine Durchsuchung der Wohnung dar, weil damit die öffentliche Gewalt nicht in der für Durchsuchungen typischen Weise in das private Leben des Bürgers und in die räumliche Sphäre, in der es sich entfaltet, eindringt [...].
Den Schutzbereich des Artikels 13 Abs. 1 GG würde es überspannen, wollte man eine Durchsuchung schon dann annehmen, wenn eine Wohnung von der Türschwelle aus überblickt werden kann.
Solange keine Suchhandlung stattfindet, ist unerheblich, ob das Betreten der Wohnung zum Zweck des Auffindens einer Person erfolgt, so dass von einem ex-ante-Standpunkt aus damit zu rechnen ist, dass Suchhandlungen erforderlich werden [...]. Alleine die Vorstellung, dass die zu ergreifende Person sich in ihrer Wohnung möglicherweise verbergen werde, mit der Folge, dass sie nicht ohne Suchhandlungen ergriffen werden kann, mag die vorsorgliche Einholung eines Durchsuchungsbefehls nahelegen, macht das Betreten der Wohnung aber noch nicht zu einer Durchsuchung. [...]
Die gewaltsame Türöffnung diente lediglich der Durchsetzung des Betretensrechts nach § 58 Abs. 5 AufenthG im Wege des unmittelbaren Zwangs. Die Intensität der Maßnahme, bei der die Zimmertür beschädigt wurde, mag als schwerwiegender empfunden werden als eine Durchsuchung, erfüllt aber nicht die Voraussetzung des gezielten Suchens nach Personen (oder Sachen) in dem Wohnraum. [...]
Die bloße Aufforderung, sich auszuweisen, der der Kläger und sein Mitbewohner nachgekommen sind, beinhaltet keine Suche nach Personen oder Sachen, sondern dient der Vergewisserung, dass die richtige Person zwecks Abschiebung ergriffen und zum Flughafen verbracht wird. [...]
Der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zusätzlich erforderliche schwerwiegende Grundrechtseingriff [...] dürfte bei der vorübergehenden Wegnahme von Gegenständen wie Mobiltelefon, Geldbörse und Kopfhörern für den Zeitraum zwischen Ergreifen des Klägers in dem Übergangswohnheim und (versuchter) Übergabe an die Bundespolizei, im Wesentlichen also die Fahrt zum Flughafen, nicht gegeben sein [...]. Das gilt auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens, wegen der Einbehaltung des Mobiltelefons sei ihm eine Kontaktaufnahme zu seinem Anwalt oder zu Gerichten nicht möglich gewesen. Dass er eine solche Kontaktaufnahme gewünscht hätte, hat der Kläger nicht vorgetragen, erst recht nicht, dass er die ihn begleitenden Polizeibeamten erfolglos gebeten hätte, ihm eine solche Kontaktaufnahme mit seinem Mobiltelefon zu ermöglichen. [...]
Die vorübergehende Einbehaltung von Mobiltelefon, Kopfhörern und Portemonnaie des Klägers durch die Polizeibeamten während der Verbringung zum Flughafen war rechtmäßig. [...]
Nach § 38 ASOG können die Ordnungsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren [...]. Dabei reicht die abstrakte Eignung der Sache, zu einem der in § 38 Nr. 3 ASOG angeführten Zwecke genutzt zu werden; eine konkrete Verwendungsabsicht braucht nicht zu bestehen [...].
Der Kläger hat die fraglichen Gegenstände mit sich geführt. Er sollte nach § 58 Abs. 1 AufenthG abgeschoben und zu diesem Zweck vom Übergangswohnheim zum Flughafen gebracht werden. Das Mobiltelefon durfte nach § 38 Nr. 3 Buchstabe b ASOG sichergestellt werden, weil es - neben der Möglichkeit, es als Waffe gegen die ihn begleitenden Polizeibeamten zu verwenden und damit deren Leben und oder Gesundheit zu schädigen (§ 38 Nr. 3 Buchstabe b ASOG) - verwendet werden konnte, um die Flucht zu ermöglichen oder zu erleichtern. [...]
Auch das Portemonnaie konnte im Sinne von § 38 Nr. 3 Buchstabe d ASOG dazu verwendet werden, dem Kläger die Flucht zu erleichtern, weil er mit Geld etwa ein Taxi oder einen Bus hätte bezahlen können
[...].
Die Kopfhörer, die der Kläger nach eigenen Angaben umgehängt hatte, die also mit Kabeln versehen waren, erfüllten die Tatbestände des § 38 Nr. 3 Buchstaben a und b ASOG, weil sie vom Kläger hätten genutzt werden können, um sich selbst oder einen der begleitenden Polizeibeamten zur strangulieren. [...]
Die Sicherstellung der Gegenstände erweist sich schließlich auch nicht deshalb als (formell) rechtswidrig, weil dem Kläger keine Bescheinigung im Sinne des § 39 Abs. 2 ASOG ausgestellt worden ist. [...]
49 Es bedarf nicht der Entscheidung, ob es die Rechtswidrigkeit der Sicherstellung zur Folge hat, wenn eine Bescheinigung entgegen § 39 Abs. 2 ASOG nicht ausgestellt wird [...], denn diese Pflicht bestand hier nicht. Die Verpflichtung zur Ausstellung einer Bescheinigung oder Niederschrift nach § 39 Abs. 2 ASOG bezieht sich auf den Regelfall, in dem eine Sache für einen nicht ganz unbedeutenden Zeitraum sichergestellt und - bei der Behörde oder einem Dritten, § 39 Abs. 1 Satz 2, 3 ASOG - in Verwahrung genommen wird; sie dient dann und für die spätere Abholung der Sache zum Beleg dafür, dass die Sache sichergestellt wurde und bei wem. Wenn die Dauer der Sicherstellung bereits absehbar ist, muss daher in der Bescheinigung angegeben werden, wo der Gegenstand abgeholt werden kann [...]. Anders liegt der Fall, wenn - wie hier - Gegenstände bei einer Person sichergestellt werden, die zur Durchführung einer Maßnahme an einen anderen Ort - zwecks Abschiebung zum Flughafen - gebracht werden soll, um ihr an diesem anderen Ort wieder ausgehändigt zu werden. Jedenfalls dann, wenn die Gegenstände dieser Person von einer der sie begleitenden Polizeikräfte für einen kurzen, schnell vorübergehenden Zeitraum abgenommen werden, und sich zugleich stets in ihrer unmittelbaren Nähe befinden, nur eben in der Hand des Polizeibeamten, wäre die Ausstellung einer Bescheinigung, die den Grund der Sicherstellung erkennen lässt und die sichergestellten Sachen bezeichnet (§ 39 Abs. 2 Satz 1 ASOG) oder die Aufnahme einer Niederschrift (§ 39 Abs. 2 Satz 2 ASOG) eine unnötige Förmelei, die im Zweifel den Zeitraum nur verlängert, in dem die Gegenstände der Person, bei der sie sichergestellt wurden, nicht zur Verfügung stehen. Die Vorschrift ist daher einschränkend dahin auszulegen, dass die Pflicht zur Ausstellung einer Bescheinigung in derartigen Fällen - und damit hier - nicht eingreift. [...]