Ablehnung als offensichtlich unbegründet erfordert Aussichtslosigkeit des Asyl(folge)antrags:
1. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 1 AsylG (neue Fassung vom 21.02.2024) ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die asylsuchende Person einen Asylfolgeantrag gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde.
2. Die Ablehnung des Asylantrags nach Durchführung eines Folgeverfahrens als offensichtlich unbegründet ist wegen der damit verbundenen Einschränkung des Rechtsschutzes verfassungsrechtlich nur dann gerechtfertigt, wenn eine eindeutige Aussichtslosigkeit des Asylantrags gegeben ist.
3. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterliegt einer erhöhten Begründungspflicht, wenn es einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnt. Im Rahmen eines Folgeverfahrens hat das Bundesamt dabei auch früheres Vorbringen der asylsuchenden Person zu berücksichtigen.
4. Selbst die Annahme einer asyltaktischen Motivation der Konversion zum Christentum ist angesichts der Willkür der iranischen Behörden für sich genommen nicht geeignet, eine Verfolgungsgefahr bei Rückreise auszuschließen.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 sowie EuGH, Urteil vom 29.2.2024 – C-222/22 – JF gg. Österreich – Asylmagazin 4-5/2024, S. 199, asyl.net: M32204)
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1 Der Antragsteller wendet sich gegen den Sofortvollzug der Androhung der Abschiebung in den Iran infolge der Ablehnung seines Folgeantrags als offensichtlich unbegründet. [...]
13 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage [...] gegen die [...] Abschiebungsandrohung hat Erfolg. [...]
19 Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet folgt aus § 30 Abs. 1 Nr. 8 1. Alt. AsylG. Sie ist in dieser Konstellation vom Gesetzgeber vorgegeben. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn – wie hier – der Ausländer gemäß § 71 AsylG einen Folgeantrag gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. Da das Bundesamt vorliegend in die Prüfung eingestiegen ist und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt hat – und damit keine Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig ausgesprochen –, ist der Ausspruch der offensichtlichen Unbegründetheit mit der Konsequenz der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung gesetzliche Folge einer Ablehnung des Asylfolgeantrags als in der Sache unbegründet [...].
20 Gleichwohl ist auch in der vorliegenden Fallkonstellation des vom Gesetzgeber zwingend vorgegebenen Offensichtlichkeitsausspruchs gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG bei Ablehnung des Asylantrags nach Durchführung eines Folgeverfahrens ist eine damit verbundene Einschränkung des Rechtsschutzes – gerade auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – nur gerechtfertigt, wenn, wie vom Bundesverfassungsgericht für das bisherige Recht gefordert, auch hier eine eindeutige Aussichtslosigkeit des Asylantrages gegeben ist [...].
21 Infolgedessen sind mit Blick auf die gravierenden Folgen einer qualifizierten Ablehnung des Asylantrages an die die Entscheidung des Bundesamtes tragende Begründung erhöhte Anforderungen zu stellen. Solche erhöhten Begründungsanforderungen dienen der wirksamen Durchsetzung des materiellen Asylanspruchs in einem dafür geeigneten Verfahren und der Sicherung des von Art. 16a Abs. 1 GG grundsätzlich auch geschützten vorläufigen Bleiberechts des Asylbewerbers. Sie sollen die Gewähr für die materielle Richtigkeit der Entscheidung verstärken [...]. Hat der Asylbewerber wie hier sein Asylbegehren auf ein umfassendes Vorbringen gestützt, so muss sich das Bundesamt damit intensiv auseinandersetzen. Dies muss sich auch in seiner Begründung niederschlagen, wobei es letztlich auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt, welche Begründungstiefe und –weite geboten ist [...].
22 Des Weiteren ist zu Folgeverfahren in der vorliegenden Konstellation bei Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu beachten, dass über die Zulässigkeitsprüfung hinaus die erneute Prüfung des Asylbegehrens in der Sache insgesamt zu erfolgen hat, wobei grundsätzlich auch ein früheres Vorbringen des Asylsuchenden zu berücksichtigen ist. [...]
23 [...] Denn die Prüfung eines Folgeantrags erfordert auch gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU europarechtlich eine individuelle Prüfung dieses Antrags anhand aller in Rede stehenden Umstände durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, wobei alle relevanten Tatsachen zu berücksichtigen sind. Erforderlich ist eine umfassende Prüfung aller Umstände des konkreten individuellen Falles, was jeglichen Automatismus ausschließt (EuGH, U.v. 29.2.2024 – C-222/22 – juris Rn. 34 ff. – zur Konversion Iraners vom Islam zum Christentum – m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung).
24 Ausgehend von den vorstehend skizzierten Grundsätzen sprechen erhebliche Gründe dafür, dass der streitgegenständliche Bescheid der Antragsgegnerin einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Denn nach Überzeugung des Gerichts ist das Begehren des Antragstellers nicht eindeutig aussichtslos, so dass sich eine Abweisung seines Antrags nicht aufdrängt. Es fehlt schon an einer umfassenden Prüfung in einer den erhöhten Anforderungen entsprechenden Begründung in der Ablehnung der Antragsgegnerin, die eine hinreichende Richtigkeitsgewähr bietet. [...]
30 Soweit die Antragsgegnerin dem Antragsteller vorhält, dass es sich bei der vorgenommenen Taufpatenschaft um einen taktischen Schritt handele, widerspricht das nicht nur dem persönlichen Eindruck des Gerichts [...]. Vielmehr ist diese Argumentation auch für sich schon fragwürdig, weil angesichts der Willkür der iranischen Behörden und der Unberechenbarkeit ihres Vorgehens die Annahme eines asyltaktischen Verhaltens für sich nicht geeignet ist, eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückreise auszuschließen (vgl. nur VG Würzburg, U.v. 25.3.2024 – W 8 K 23.30739 – 7 juris Rn. 70 mit Verweis auf VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – noch unveröffentlicht, UA S. 43 ff., 48 f.).
31 In dem vorstehend zitierten [...] Urteil vom 19. Februar 2024 hat das erkennende Gericht darüber hinaus ausgeführt, dass keine aktuellen konkreten Erkenntnisse ersichtlich sind, dass die iranischen Behörden Nachfluchtaktivitäten (insbesondere Konversion vom Islam zum Christentum und/oder exilpolitische Aktivitäten) realistisch einschätzten und infolgedessen mit einer Verfolgung nicht zu rechnen sei. [...]
34 Angesichts der vorliegenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides überwiegt das Interesse des Antragstellers, jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von einer Abschiebung nach Iran verschont zu bleiben. [...]