Kein Schutz für zum Islam konvertierte Yezidin aus Georgien:
1. Für die Klägerin besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch ihre Familie oder die yezidische Gemeinschaft aufgrund ihrer Konversion zum Islam, da sich die Familie außerhalb Georgiens aufhält und die Klägerin selbst nie in Georgien gelebt hat. Da kein Kontakt zur Familie besteht, ist auch nicht ersichtlich, wie eine Rückkehr den in Georgien verbliebenen Familienmitglieder bekannt werden sollte. Zudem besteht die Möglichkeit des internen und staatlichen Schutzes.
2. Die gesunde und erwerbsfähige Klägerin kann - auch als Mutter eines Säuglings - bei Rückkehr ihr Existenzminimum durch Zuhilfenahme von Hilfsorganisationen und deutschen Rückkehrhilfen sichern.
3. Die Abschiebungsandrohung verletzt das Wohl des Kindes und andere familiäre Belange ( § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG), da weder das Kind noch der Kindsvater aufgrund mangelnder Papiere nach Georgien reisen können. Zudem ist das Asylverfahren des Kindsvaters nicht abgeschlossen.
(Leitsätze der Redaktion; Anm.: Das Urteil enthält keine Ausführungen zu den staatlichen Schutzmöglichkeiten, siehe dazu VG Stade, Urteil vom 25.03.2021 - 3 A 2387/17 - asyl.net: M29729; siehe auch OVG Sachsen, Urteil vom 20.11.2020 - 2 A 494/20.A - keine Möglichkeit zur Existenzsicherung einer alleinstehenden, erwerbsunfähigen Frau mit Kindern)
[...]
26 A. Die Klage ist überwiegend unbegründet.
27 I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG. Es wird auf den angegriffenen Bescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt: [...]
34 2. Der Klägerin droht in Georgien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung durch ihre yezidischen Verwandten wegen der religiösen Heirat mit ihrem muslimischen Ehemann bzw. ihrer Konversion zum Islam.
35 Die Klägerin hat sich nach eigenen Angaben nie in Georgien aufgehalten, sodass eine Vorverfolgung ausscheidet. Ihre Eltern und ihre Geschwister, vor denen sie aus Belgien geflohen sei, leben selbst nicht mehr in Georgien. Sie sind mit der Klägerin nach Deutschland gekommen und zwischenzeitlich nach Frankreich abgeschoben worden. Selbst wenn ein in Georgien verbliebener Teil der Familie der Klägerin – wie z.B. der Bruder ihres Vaters, der nach Angaben der Klägerin noch mit ihrem Vater in Kontakt steht – von ihrer Heirat und Konversion Kenntnis erlangen würde, ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin landesweit von ihrer Familie verfolgt werden würde. Da die Klägerin den Kontakt zu ihrer gesamten Familie abgebrochen hat, ist auch nicht ersichtlich, wie ihr Vater von einer Rückführung der Klägerin nach Georgien und ihrem dortigen Aufenthalt Kenntnis erlangen und diese Erkenntnisse an seinen in Georgien lebenden Bruder weitergeben könnte. Jedenfalls stünde der Klägerin eine inländische Schutzalternative zur Verfügung. Zudem wäre sie auf den Schutz der georgischen Behörden zu verweisen. Ihre Familie ist zudem kein territorial relevanter Verfolger nach § 3c Nr. 3 AsylG. [...]
38 II. Die Klägerin hat aus denselben Gründen auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i. S. d. § 4 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 4, Satz 2 AsylG. Auf die Begründung des angefochtenen Bescheids des Bundesamts wird verwiesen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Das Bundesamt geht in seiner Würdigung nachvollziehbar davon aus, dass der Klägerin weder aufgrund ihrer yezidischen Herkunft, noch aufgrund der religiösen Heirat mit einem Moslem, noch aufgrund der Konversion zum Islam ein ernsthafter Schaden droht.
39 III. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. [...]
42 b) Die erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Klägerin würde im Fall ihrer Abschiebung nach Georgien keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. Hinsichtlich der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Zielstaat bedarf es einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Gefahr unter Berücksichtigung der Erwerbsmöglichkeiten der Ausländerin, der Zugänglichkeit von Hilfsangeboten vor Ort und von Rückkehrhilfen des abschiebenden Staats, um einen Schutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zuzusprechen [...]. Selbst wenn die Klägerin wegen der Betreuung ihres Kindes derzeit noch nicht und absehbar nur in Teilzeit erwerbsfähig sein dürfte, ist sie doch auf die in Georgien angebotenen Hilfen sowie die von Deutschland angebotenen Rückkehrhilfen zu verweisen, so dass nicht von einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden existenziellen Gefahr auszugehen ist.
43 Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in Georgien jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert [...]. Ausweislich des Protokolls zur mündlichen Verhandlung [...] ist die Klägerin – entgegen ihrer Angabe in der mündlichen Verhandlung am 28. Mai 2024 im hiesigen Verfahren – der georgischen Sprache mächtig. Sie hat in Belgien bzw. Frankreich die Schule bis kurz vor dem Abschlussjahr besucht. Auch die Tatsache, dass die Klägerin vor kurzer Zeit ein Kind entbunden hat, setzt sie keiner besonderen Ausnahmesituation aus, da sich eine Vielzahl von Frauen in derselben Lage befinden. Ergänzend ist die Klägerin darauf zu verweisen, die allgemeinen, wenn auch in der Regel insgesamt unzureichenden Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, darunter eine kostenlose medizinische Grundversorgung. Zwar greifen Rückkehrer in der Regel auf die Unterstützung durch den Familienverband zurück, was nach dem klägerischen Vortrag zur Familiensituation nicht der Fall sein dürfte, jedoch bieten auch internationale Organisationen Unterstützung bei der Integration an. Die Klägerin kann sich hinsichtlich finanzieller und erzieherischer Unterstützung bezüglich ihres Kindes auch an ihren religiös angetrauten und unterhaltspflichtigen Ehemann wenden. Zudem gibt es ein staatliches Reintegrationsprogramm mit der Gewährung von Zuschüssen und Unterstützungsleistungen. Außerdem werden vorübergehende Unterkünfte bereitgestellt [...].
45 Medizinische Beschwerden wurden nicht vorgebracht; die Zeit des Mutterschutzes ist zwischenzeitlich abgelaufen. Neben der medizinischen Versorgung für alle georgischen Staatsangehörigen durch eine staatlich finanzierte Grundversorgung (Universal Health Care) bestehen zusätzlich staatliche Gesundheitsprogramme für bestimmte Krankheitsbilder (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien, Stand Dezember 2021, S. 16). Eine derzeitige Medikamenteneinnahme bzw. behandlungsbedürftige Krankheiten wurden durch die Klägerin nicht vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich. [...]
46 IV. Die Abschiebungsandrohung ist allerdings wegen Verstoßes gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG n.F. und infolgedessen auch das verfügte Einreise- und das Aufenthaltsverbot rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. [...]
48 a) Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz vom 21. Februar 2024, BGBl. I Nr. 54), das die Anforderungen des Art. 5 RL 2008/115/EG (sog. Rückführungsrichtlinie) im Lichte der EuGH-Rechtsprechung [...] in das nationale Recht übernommen hat, wird nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG n.F. vorausgesetzt, dass bei Erlass einer Abschiebungsandrohung der Abschiebung u.a. weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen des Adressaten entgegenstehen [...]. Diese Neufassung ist für das Verwaltungsgericht zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) auch maßgeblich. Hier ist das Kind der Klägerin zwar mangels Aufenthaltsgestattung aus einem Asylverfahren oder eines Aufenthaltsrechts wohl ausreisepflichtig, aber mangels Geburtsregistrierung und Reisepasses, für deren Beschaffung die Klägerin als Personensorgeberechtigte verantwortlich ist, derzeit in Georgien nicht einreisebefugt. Es kann die Klägerin im Fall ihrer Abschiebung nach Georgien gegenwärtig also nicht begleiten, so dass eine isolierte Abschiebung der Klägerin wohl das Kindeswohl durch Abbruch der familiären Lebensgemeinschaft von Mutter und Kind verletzte.
49 Der Schutz des Kindeswohls knüpft aber nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. [...] Diese potentielle Familientrennung wurde im Bescheid nicht berücksichtigt. [...] Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen [...].
50 b) Der am ... 2024 geborene minderjährige Sohn der Klägerin, für den der religiös angetraute afghanische Ehemann der Klägerin die Vaterschaft anerkannt hat und mit der Klägerin das gemeinsame Sorgerecht ausübt, besitzt zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt formell noch keine georgische Staatsangehörigkeit.
51 c) Auch wenn der ... Sohn der Klägerin selbst nicht Adressat der Rückkehrentscheidung ist, so genügt seine Betroffenheit von der gegenüber seiner Mutter ergangenen Rückkehrentscheidung. [...]
53 2. Ebenso ist infolgedessen auch das in Nummer 6 des Bescheids verfügte Einreise- und das Aufenthaltsverbot rechtswidrig, da hierfür nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 AufenthG eine Abschiebungsandrohung Voraussetzung ist. [...]