Komplexere Haftanträge sind Betroffenen schon vor Anhörung auszuhändigen:
1. Zu Beginn der Anhörung muss der betroffenen Person in jedem Fall eine Ablichtung des Haftantrags ausgehändigt und dieser erforderlichenfalls (mündlich) übersetzt werden, was schriftlich zu dokumentieren ist. Diese Bekanntgabe ist Voraussetzung für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs.
2. Die Eröffnung des Haftantrags zu Beginn der Anhörung genügt allerdings nur dann, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem die betroffene Person ohne weiteres auskunftsfähig ist. Ist die betroffene Person hingegen ohne vorherige Kenntnis des Antragsinhalts nicht in der Lage, zur Sachaufklärung beizutragen und ihre Rechte wahrzunehmen, muss ihr der Antrag schon vor der Anhörung übermittelt werden.
3. Angesichts eines siebenseitigen Haftantrags, der einen komplexen Sachverhalts schildert und mehrere Haftgründe aufführt, ist es nicht vorstellbar, dass eine Person, die am Tag der Anhörung in Haft genommen wurde und angesichts der drohenden Abschiebung emotional belastet ist, in der für die Anhörung vorgesehenen Zeit in der Lage ist, diesen zu verstehen und adäquat darauf zu reagieren, wenn er ihr erst zu Beginn der Anhörung ausgehändigt und einmalig übersetzt wird.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: BGH, Beschluss vom 21.07.2011 - V ZB 141/11 - bundesgerichtshof.de)
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Die Haftanordnung ist schon deshalb rechtswidrig, weil nicht ersichtlich ist, dass dem Betroffenen vor der Anhörung durch das Amtsgericht der Antrag der Ausländerbehörde übersetzt und ausgehändigt worden ist. Er war deshalb nicht in der Lage, zu der Begründung des Haftantrags ausreichend Stellung zu nehmen.
Dem Betroffenen muss in jedem Fall eine Ablichtung des Antrag ausgehändigt, erforderlichenfalls (mündlich) übersetzt und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden (BGH, Beschluss v. 05.12.2013 – V ZB 71/13 – Rdnr. 7 – juris).
Dem Protokoll über die Anhörung ist aber nicht zu entnehmen, dass der vollständige Haftantrag de Betroffenen übersetzt und ausgehändigt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden ist. Eine solche Bekanntgabe ist jedoch Voraussetzung für eine ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs. Anderenfalls kann - wie hier – nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. § 417 Abs. 2 FamFG) zu äußern (BGH, Beschluss v. 21.07.2011 – V ZB 141/11 - , Rdnr. 8 - juris).
Ist der Betroffene - wie hier - ferner ohne vorherige Kenntnis des Antragsinhalts nicht in der Lage, zur Sachaufklärung beizutragen und seine Rechte wahrzunehmen, muss ihm der Antrag noch vor der Anhörung übermittelt werden; die Eröffnung des Haftantrags zu Beginn der Anhörung genügt nur dann, wenn dieser einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist (BGH, Beschluss v. 21 .07.2011 - V ZB 141/11 -, Rdnr. 7 - juris) .
Angesichts der Länge des 7-seitigen Haftantrages, der Komplexität des geschilderten Sachverhalts und der angeführten mehrfachen Haftgründe ist nicht vorstellbar, dass der hier erst am Tag der Anhörung in Haft genommene, emotional belastete und von der Abschiebung bedrohte Ausländer in der Lage war, in der kurzen Zeit, die für den gesamten Anhörungs- und Beschlussvorgang ausweislich des Protokolls zur Verfügung stand, den zugrundeliegenden Sachverhalt und die darauf gestützte rechtliche Würdigung aufgrund einer erst zu Beginn der Anhörung erfolgten einmaligen Übersetzung zu verstehen und darauf adäquat zu reagieren. Es hätte daher bereits vor Beginn der Anhörung - etwa schon nach der Verhaftung durch die Ausländerbehörde - zumindest die Aushändigung des Haftantrags und einer Übersetzung seiner wesentlichen Teile erfolgen und dem Betroffenen die Gelegenheit zum Überdenken des Haftantrags gegeben werden müssen, wenn die Anhörung - insbesondere in der hier stattgefundenen Kürze - mehr darstellen soll als eine bloße Formalität.
Der Mangel ist bis zur Haftentlassung auch nicht geheilt worden. Die heilende Wirkung wäre im Übrigen lediglich für die Zukunft eingetreten (vgl. BGH, Beschluss vom 13.09.2018 - V ZB 57/18, Rdnr. 12 – juris). [...]