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OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.06.2024 - 3 S 32/24 - asyl.net: M32475
https://www.asyl.net/rsdb/m32475
Leitsatz:

Geschwisternachzug mit beiden Elternteilen zum subsidiär Schutzberechtigten:

1. Wenn die Eltern ein Visum zum Nachzug zu ihrem im Bundesgebiet lebenden Kind erhalten haben, kommt eine auch nur vorübergehende Trennung des dreizehnjährigen, außerhalb seines Herkunftslandes aufhältigen anderen Kindes von seinen Eltern nicht in Betracht, weil dies mit dem Kindeswohl und dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie unvereinbar wäre. Es liegt dann ein Ausnahmefall vor, bei dem die fehlende Lebensunterhaltssicherung dem anderen Kind im Visumverfahren nicht entgegengehalten werden kann.

2. Es ist den Eltern nicht zuzumuten, dass nur ein Elternteil in das Bundesgebiet einreist, wenn der Nachzugsanspruch des im Ausland verbleibenden Elternteils wegen der eintretenden Volljährigkeit des subsidiär Schutzberechtigten in wenigen Tagen untergeht und ein Nachzugsanspruch der restlichen Kernfamilie in zeitlicher Hinsicht ungewiss ist.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.12.2023 - 3 S 117/23 - Asylmagazin 3/2024, S. 131, asyl.net: M32101)

Schlagwörter: subsidiärer Schutz, Geschwisternachzug, Sicherung des Lebensunterhalts, atypischer Ausnahmefall,
Normen: AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 32 Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 36a Abs. 1, GG Art. 6, EMRK Art. 8, GrCh Art. 7
Auszüge:

[...]

1 Die Beschwerde, mit der sich die Antragsgegnerin gegen die erstinstanzliche Verpflichtung zur Visumerteilung an den aus Syrien stammenden und im Irak lebenden 13-jährigen Antragsteller wendet, damit er gemeinsam mit seinen Eltern zu dem derzeit noch minderjährigen, subsidiär schutzberechtigten Bruder in das Bundesgebiet einreisen kann, ist nicht begründet. [...]

2 Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, das Verwaltungsgericht habe fehlerhaft von der Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen, denn es liege hier kein atypischer Fall vor. Ein Ausnahmefall, der ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigt, ist zu bejahen, wenn besondere, atypische Umstände bestehen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, aber auch dann, wenn entweder aus Gründen höherrangigen Rechts wie Art. 6 oder Art. 2 Abs. 1 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GRCh eine Abweichung geboten ist [...].

3 Gemessen daran hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass ihm die fehlende Lebensunterhaltssicherung im Hinblick auf Art. 6 Abs.1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht entgegengehalten werden kann. Die Visumerteilung ist hier [...] geboten, um die familiäre Gemeinschaft des Antragstellers mit seinen Eltern als Kernfamilie aufrechtzuerhalten, denn die Eltern haben ein Visum nach § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG zum Nachzug zu ihrem im Bundesgebiet lebenden Sohn - dem Bruder des Antragstellers - erhalten. Eine auch nur vorübergehende Trennung des Antragstellers von seinen Eltern kommt im Hinblick auf sein Alter – er ist erst dreizehn Jahre alt – und den Aufenthalt außerhalb des Herkunftslandes Syriens nicht in Betracht, weil dies mit dem Kindeswohl unvereinbar wäre. [...]

4 [...] Es ist den Eltern des Antragstellers nicht zuzumuten, dass nur ein Elternteil in das Bundesgebiet einreist, weil der Nachzugsanspruch des im Ausland verbleibenden Elternteils in wenigen Tagen untergeht [...] und ein Nachzugsanspruch der restlichen Kernfamilie in zeitlicher Hinsicht ungewiss ist [...]. Im Übrigen spricht auch die Argumentation der Antragsgegnerin eher für die Annahme eines Ausnahmefalles. Sie geht offensichtlich selbst davon aus, dass "langfristig kein Verlust des Nachzugsrechts" drohe und die familiäre Lebensgemeinschaft letztlich im Bundesgebiet hergestellt werde. Warum es unter diesen Umständen entgegen höherrangigem Recht zumutbar wäre, zunächst das von der Antragsgegnerin geforderte Verfahren zu durchlaufen und eine (in zeitlicher Hinsicht) ungewisse Trennung in Kauf zu nehmen, ist für den Senat nicht ersichtlich. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich die Eltern des Antragstellers seit mehreren Jahren im Irak aufhalten und dort – wie die Antragsgegnerin geltend macht - nicht in prekären Verhältnissen leben. [...]