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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.05.2024 - 11 S 2670/22 - asyl.net: M32473
https://www.asyl.net/rsdb/m32473
Leitsatz:

Begründete Zweifel an für Einbürgerung erforderlichen Sprachkenntnissen trotzt entsprechenden Zertifikats:

1. Im Einbürgerungsverfahren genügt die Vorlage eines Zertifikats zum Nachweis von ausreichenden Sprachkenntnissen nicht, wenn im konkreten Einzelfall erhebliche Zweifel an den dem Einbürgerungsbewerber bescheinigten Sprachkenntnissen bestehen oder tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass nach Zertifikatsausstellung ein entscheidungserheblicher Sprachverlust eingetreten sein könnte. In diesen Fällen hat der Einbürgerungsbewerber auf Anforderung durch die Einbürgerungsbehörde die erforderlichen Sprachkenntnisse in anderer, geeigneter Form nachzuweisen.

2. Der Umstand, dass ein Einbürgerungsbewerber bei seiner Vorsprache bei der Einbürgerungsbehörde Schwierigkeiten hatte, den Inhalt des von ihm abzugebenden Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung wiederzugeben, rechtfertigt für sich allein noch nicht die Annahme eines nach Zertifikationsausstellung eingetretenen Sprachverlustes.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Deutschkenntnisse, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, ausreichende Sprachkenntnisse
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, StAG § 10 Abs. 4 S. 1, AufenthG § 2 Abs. 11
Auszüge:

[...]

a) Ein Anspruch auf Einbürgerung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG dürfte nicht bestehen. [...]

Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde nicht erfüllt, denn es fehlt jedenfalls am Nachweis ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG in Verbindung mit § 37 Abs. 1 Satz 2 StAG und § 82 Abs. 1 AufenthG). Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache liegen nach der Legaldefinition des § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Hiervon ist auszugehen, wenn sich der Ausländer im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behörden in seiner deutschen Umgebung sprachlich zurechtzufinden vermag und mit ihm ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch geführt werden kann. Dazu gehört auch, dass der Einbürgerungsbewerber einen deutschsprachigen Text des alltäglichen Lebens lesen, verstehen und die wesentlichen Inhalte mündlich wiedergeben kann (BVerwG, Urteil vom 28.04.2015 - 1 C 21.14 - juris Rn. 14).

Zwar hat die Klägerin ein Zertifikat "Deutsch-Test für Zuwanderer" des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über das Gesamtergebnis B1 vom 01.12.2014 vorgelegt.

Die Vorlage eines Zertifikats zum Nachweis von ausreichenden Sprachkenntnissen genügt aber dann nicht, wenn im konkreten Einzelfall erhebliche Zweifel an den dem Einbürgerungsbewerber bescheinigten Sprachkenntnissen bestehen oder tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass nach Zertifikatsausstellung ein entscheidungserheblicher Sprachverlust eingetreten sein könnte [...]. Das Sprachzertifikat hat zwar eine gewichtige Indizwirkung, führt aber nicht den Vollbeweis für entsprechende Sprachkenntnisse [...]. In diesen Fällen hat der Einbürgerungsbewerber auf Anforderung durch die Einbürgerungsbehörde die erforderlichen Sprachkenntnisse in anderer, geeigneter Form nachzuweisen.

Nach Aktenlage dürfte bei der Klägerin ein entscheidungserheblicher Sprachverlust nach Zertifikatsausstellung eingetreten sein. Zwar rechtfertigt der Umstand, dass die Klägerin bei ihrer Vorsprache beim Landratsamt ... am … 2021 Schwierigkeiten hatte, den Inhalt des von ihr abzugebenden Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung wiederzugeben, für sich genommen nicht die Annahme eines nach Zertifikatsausstellung eingetretenen Sprachverlustes. Denn das Gespräch über die Abgabe des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung übersteigt den Umfang des geforderten Sprachniveaus B1.

Die Klägerin vermag sich nach Aktenlage jedoch nicht, wie für das Niveau B1 erforderlich, im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behörden in ihrer deutschen Umgebung sprachlich zurechtzufinden. Denn zum Einbürgerungstermin am … 2021 legte die Klägerin ohne Problembewusstsein einen zu diesem Zeitpunkt seit fast drei Jahren abgelaufenen Aufenthaltstitel ihres Sohnes vor, obwohl sie mit Schreiben vom … 2020 darauf hingewiesen worden war, dass sie einen gültigen Aufenthaltstitel auch ihres Sohnes mitbringen müsse. Auch hatte die Ausländerbehörde die Klägerin bereits mit Schreiben vom 10.12.2022 darauf hingewiesen, dass der Aufenthaltstitel seit dem 03.06.2018 erloschen sei. [...] Weiter entstand bei dem persönlichen Gespräch am … 2021 ausweislich des hierzu angefertigten Aktenvermerks der Eindruck, dass eine andere Person die Vorsprache vorbereitet habe. Schließlich bestätigt der Umstand, dass die Klägerin in den beiden Gesprächen mit dem Landratsamt ... selbst mehrfach erklärt hat, dass ihre Deutschkenntnisse unzureichend seien und sie sich um eine Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse kümmern müsse, die Annahme eines seit Ausstellung des Zertifikats eingetretenen Sprachverlusts. Aufgrund dieser Gesamtumstände durfte das Landratsamt ... die Klägerin auffordern, einen aktuellen Sprachnachweis vorzulegen. Dieser Aufforderung ist die Klägerin bis heute nicht nachgekommen. [...]