VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Beschluss vom 22.05.2024 - 2 L 352/24.A - asyl.net: M32467
https://www.asyl.net/rsdb/m32467
Leitsatz:

Zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet wegen "belanglosem" Vortrag:

1. Ein Vorbringen ist nicht schon deshalb "für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang", wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge letztlich zu dem Ergebnis kommt, dass der Vortrag erfolglos bleibt. Was ein Vortrag ohne Belang ist, bedarf der Auslegung, zumindest bedarf es eines "Mehr" gegenüber der einfachen Unbegründetheit des Asylantrags.

2. Die möglicherweise zutreffende Ablehnung eines Asylantrags entbindet nicht von der Verpflichtung aufzuzeigen, was unter belanglosem Vorbringen im Sinne der Neufassung von § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu verstehen ist und inwiefern solches vorliegt. Wenn die Ablehnung lediglich auf die fehlende Glaubhaftigkeit des Vorbringens zurückzuführen ist,  ist dennoch auszuführen, inwiefern das Vorbringen bei glaubhaftem Vortrag ohne Belang für die Prüfung der Schutzzuerkennung sein sollte.

3. Die Abweichungen des § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 AsylG 2024 vom Wortlaut wie vom Inhalt des Art. 31 Abs. 8 Buchstabe a) bis j) RL 2013/32/EU werfen die Frage nach der Vereinbarkeit mit Unionsrecht auf.

Leitsätze der Redaktion

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, belanglos, Rückführungsverbesserungsgesetz, Asylverfahren,
Normen: AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1, RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 8, RL 2013/32/EU Art. 32 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg. [...]

Nach der von der Antragsgegnerin hier zur Begründung der Abweisung des Schutzbegehrens als offensichtlich unbegründet herangezogenen - ernsthaft auch nur in Betracht zu ziehenden - Norm des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG 2024 ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrages nicht von Belang sind. [....]

Was hingegen im Asylverfahren das Vorbringen von lediglich Umständen ist, die für die Prüfung des Asylantrages nicht von Belang sind, ist auszulegen. Eindeutig ist nur, dass dieses ein "Mehr" bedeutet gegenüber der (einfachen) Unbegründetheit eines Asylantrages, wäre anderenfalls jedes letztendlich ohne Erfolg gebliebenes Schutzvorbringen zugleich auch ein offensichtlich unbegründetes Vorbringen. Dass dieses nur die Ausnahme in klar strukturierten Fällen sein kann, ist sowohl der nationalen Regelung in § 30 AsylG 2024 wie auch den unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 31 Abs. 8, Art. 32 Abs. 2 RL 2013/32/EU zu entnehmen. [...]

Die schlichte Behauptung, das Schutzbegehren sei offensichtlich unbegründet, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht [...]. Die Entscheidungsgründe müssen die Maßstäbe erkennen lassen, die der Abweisung des Schutzbegehrens als offensichtlich unbegründet zugrunde liegen [...].

Unter Zugrundelegung dessen tragen die Ausführungen der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid und ihre Bewertung des Schutzbegehrens als offensichtlich unbegründet nicht.

Die Antragsgegnerin bezieht sich zur Begründung ihrer Bewertung auf die Behauptung, dass der nach ihrer Ansicht unbegründete Asylantrag auch als offensichtlich unbegründet abzulehnen sei, wiederholt hierbei den Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG 2024; es habe sich erwiesen, dass eine asylrechtliche Gefährdungssituation nie bestanden habe und wiederholt hierzu den Satz, mit dem zuvor für den ehemaligen § 30 Abs. 1 AsylG a. F. ein offensichtlich unbegründetes Schutzbegehren angenommen wurde.

Die Antragsgegnerin stellt damit lediglich für ihre Annahme belanglosen Vorbringens die nicht untermauerte These auf, dass das "offensichtlich" sei und verwendet hierfür nur - ohne Ausführungen zum Sachverhalt - andere Synonyme, was nach der obigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht zulässig ist. Es bleibt - gerade auch in Anbetracht der durchaus umfassenden Ausführungen der Antragsgegnerin selbst zu dem Vorbringen der Antragstellerpartei, die fast 5 Stunden angehört worden ist - unverständlich, inwiefern dieses alles "ohne Belang für die Prüfung" gewesen sei. Es wurde zudem schon ausgeführt, dass belangloses Vorbingen jedenfalls nicht nur aufgrund einer Würdigung anzunehmen ist, dass es letztendlich erfolglos geblieben ist, noch dazu, wenn diese Erfolglosigkeit lediglich auf den fehlenden Glauben der Darstellung zurückzuführen ist, aber nicht ausgeführt wird, inwiefern es bei glaubhaftem Vortrag ohne Belang sein sollte. Dann wäre - entgegen der dem Gesetz zu Grunde liegenden Annahme - jedes erfolglose Schutzbegehren auch zugleich als offensichtlich unbegründet abzulehnen, was nicht dem gesetzgeberischen Willen entspricht.

Die möglicherweise zutreffende Ablehnung eines Schutzbegehrens entbindet gleichwohl nicht von der Verpflichtung aufzuzeigen, was unter belanglosem Vorbringen im Sinne der Neufassung von § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG 2024 zu verstehen ist und inwiefern solches vorliegt. Bei der Neufassung der gesetzlichen Vorgaben in § 30 AsylG 2024 ist dabei vor allem in Betracht zu ziehen, dass hierbei gerade Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU umgesetzt werden sollte. Inwieweit es zielführend gewesen ist, anstatt sich an den Vorgaben in Art. 31 Abs. 8 Buchstabe a) bis j) RL 2013/32/EU zu orientieren, stattdessen nicht nur die Reihenfolge der benannten Fallgruppen in § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 AsylG 2024 zu verändern, sondern auch vom Wortlaut wie vom Inhalt der Richtlinienvorgaben abzuweichen, hierbei zudem zumindest zwei in der Richtlinie überhaupt nicht aufgeführte Fallgruppen zusätzlich aufzunehmen, was die Frage nach Vereinbarkeit mit Unionsrecht aufwerfen dürfte, mag dahinstehen (kritisch: Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins vom Oktober 2023 zum Referentenentwurf des Rückführungsverbesserungsgesetzes, dort S. 23ff.; Münch, Sachverständigen-Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 11. Dezember 2023 vor dem Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages, dort S. 13ff.).

Jedenfalls dürfte aber Vorbringen von Umständen, welches für die Prüfung des Asylantrages (so § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG 2024) bzw. für die Prüfung der Frage, ob ein Antragsteller als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinn der Richtlinie 2011/95/EU anzuerkennen ist (so Art. 31 Abs. 8 Buchstabe a) RL 2013/32/EU), nicht von Belang ist, im Vergleich mit den sonstigen in Art. 31 Abs. 8 Buchstabe b) bis j) RL 2013/32/EU aufgenommenen Fallgruppen zu sehen, somit vergleichbar schwer wiegende, gegen den Antragsteller sprechende Umstände zu verlangen sein. Dass ein Schutzvorbringen letztendlich nach Prüfung und Bewertung erfolglos geblieben ist, fällt hierunter jedenfalls nicht. Das rechtfertigt allenfalls die (einfache) Abweisung des Schutzbegehrens, ohne eines Ausspruches zur Offensichtlichkeit, der letztendlich den nach den gesetzlichen Vorgaben eigentlich eingeräumten Rechtsschutz verkürzt. [...]