Verlust des Schutzstatus infolge freiwilliger Ausreise ist rechtlich nicht relevant:
1. Der mögliche Verlust eines Schutzstatus ist, der auf eigenem Willensentschluss beruht, steht einer Entscheidung über den Asylantrag als unzulässig im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht entgegen. Der Asylantrag ist so zu behandeln, als ob der Schutzstatuts fortbestehen würde. Denn der Zweck der Norm ist es, Sekundärmigration zu verhindern.
2. Familiäre Belange stehen der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Diese können etwa vorliegen, wenn ein Familienmitglied auf den Beistand eines anderen angewiesen ist und diese Hilfe zumutbar nur in Deutschland zu leisten ist. Eine Haus- oder Haushaltsgemeinschaft ist dafür nicht unbedingt erforderlich.
3. In Belgien bestehen keine systemische Mängel im Asylsystem. Alleinstehende Frauen sind nicht von der sogenannten "Aufnahmekrise" in Belgien betroffen, da die verfügbaren Unterbringungsplätze vorrangig an die vulnerabelsten Personengruppen, unter anderem an alleinstehende Frauen, vergeben werden.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. [...]
Der am 6. Mai 2024 gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 29 K 3335/24.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. April 2024 anzuordnen, hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 36 Abs. 3 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. [...]
Der Antragstellerin fehlt schließlich auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dem steht insbesondere nicht die unter Ziffer 3. des angefochtenen Bescheids erfolgte Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung entgegen. Denn diese ist ausdrücklich (allein) auf die einwöchige Klagefrist und, für den Fall eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht befristet.
Der Antrag ist unbegründet. [...]
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AslyG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – Flüchtlingsstatus im Sinne des § 2 AsylG oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG – gewährt hat. [...]
Nach dem EURODAC-Ergebnis wurde der Antragstellerin am 4. Dezember 2014 von Belgien internationaler Schutz zuerkannt (Bl. 17 der Beiakte). [...]
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin sich nach ihrem Vortrag nach der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Belgien im Mai 2015 dazu entschied, wieder in die Türkei zu reisen und dort bis zum Jahr 2023 bei ihrem Sohn zu leben.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass auch infolge der Ausreise der Antragstellerin nur ihr Aufenthaltstitel, nicht aber ihr Schutzstatus erloschen ist und auch die Möglichkeit besteht, bei einer Rückkehr zu beantragen, dass der Aufenthaltstitel nicht als erloschen betrachtet wird. Ungeachtet dessen wäre aber auch ein Verlust des Schutzstatus infolge ihrer freiwilligen Ausreise rechtlich nicht relevant [...]
Denn es kommt auf den aktuellen asylrechtlichen Status der Antragstellerin von vornherein nicht an, wenn der mögliche Verlust des Status – wie hier – auf ihren Willensentschluss zurückzuführen ist. Der Betroffene ist dann so zu behandeln wie wenn sein Schutz fortbesteht. Andernfalls hätte es ein Asylbewerber in der Hand, durch freiwilliges Handeln herbeiführen zu können, dass er in der Bundesrepublik Deutschland erneut einen Anspruch auf internationalen Schutz geltend machen kann. Der Zweck des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und der Verfahrensrichtlinie ist es aber, Sekundärmigration zu vermeiden und sicherzustellen, dass nur ein einziger Mitgliedstaat die Schutzberechtigung prüft. [...]
Nach diesen Maßstäben geht das Gericht bei summarischer Prüfung unter Würdigung des aktuellen Erkenntnisstands davon aus, dass der Antragstellerin bei Rückkehr nach Belgien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 4 GR-Charta droht, die entsprechend Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 der Dublin-III-VO einer Überstellung entgegensteht.
In Belgien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeit (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation Belgien, 19.12.2023, S. 6).
Jeder Asylbewerber hat das Recht auf materielle Aufnahmebedingungen ab dem Zeitpunkt der Asylantragstellung. Zur Versorgung gehören Unterbringung, Verpflegung, Kleidung, medizinische, soziale und psychologische Hilfe, Zugang zu Dolmetscherdiensten und rechtlicher Vertretung, Zugang zu Schulungen, ein Programm zur freiwilligen Rückkehr und ein Tagegeld [...].
Ferner haben Asylbewerber, die innerhalb von vier Monaten ab Antragstellung noch keine erstinstanzliche Entscheidung erhalten haben, Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie haben das Recht auf medizinische Versorgung, die alle Leistungen umfasst, welche die belgische Krankenkasse übernimmt [...].
Dublin-Rückkehrer haben in Belgien sofort Zugang zum Asylsystem. Ihre Verfahren werden inhaltlich behandelt, und sie haben das Recht, einen Folgeantrag zu stellen. Außerdem haben Dublin-Rückkehrer grundsätzlich das Recht auf Versorgung wie andere Asylbewerber [...].
Als alleinstehende Frau wäre sie hierbei zudem nicht von der sogenannten "Aufnahmekrise" betroffen, in der sich Belgien seit Mitte Oktober 2021 befindet, und die den Zugang alleinstehender männlicher Asylbewerber zum Asylverfahren beeinträchtigt [...],
Die verfügbaren Unterbringungsplätze werden vorrangig an die vulnerabelsten Personen vergeben. Hierzu gehören unter anderem Familien mit Kindern und alleinstehende Frauen, wie die Antragstellerin [...].
Die in der Abschiebungsandrohung gesetzte Ausreisefrist von einer Woche entspricht der Vorgabe des § 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Aufgrund der Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung genügt diese ferner den Vorgaben, die sich aus dem Unionsrecht für eine Verbindung von ablehnender Asylentscheidung mit der Abschiebungsandrohung ergeben. Denn durch die Aussetzung der Vollziehung ist gewährleistet, dass der Antragsteller ein Bleiberecht bis zur Entscheidung über den maßgeblichen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags hat und dieser Rechtsbehelf seine volle Wirksamkeit entfaltet [...].
Zwar kann einer Abschiebung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 8 EMRK ausnahmsweise das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne einer so genannten Beistandsgemeinschaft zwischen Familienmitgliedern entgegenstehen, selbst wenn es sich nicht um die Beziehung eines minderjährigen Kindes zu seinen Eltern handelt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Familienmitglied auf eine auch tatsächlich erbrachte Lebenshilfe des anderen von einigem Gewicht angewiesen ist und sich diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, namentlich, wenn einem beteiligten Familienmitglied die Ausreise nicht zumutbar ist. Eine Haus- oder Haushaltsgemeinschaft ist dabei nicht unbedingt erforderlich. Gefordert wird, dass eine erforderliche wesentliche Hilfe geleistet wird, ohne dass dabei die Schwelle der spezifischen Pflegebedürftigkeit erreicht sein müsste. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte, die nicht Familienangehörige sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Mai 1996 – A 13 S 1431/94 –, juris Rn. 27 m. w. N.).
Anhaltspunkte für eine derartige besondere Beistandsgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und ihrem in Deutschland lebenden Sohn sind indes weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. [...]