OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 03.06.2024 - 2 LB 40/24 - asyl.net: M32452
https://www.asyl.net/rsdb/m32452
Leitsatz:

Jesiden droht regelmäßig keine religiöse Verfolgung durch das syrische Regime:

"1. Yeziden sind in Syrien seitens des syrischen Regimes ohne Hinzutreten risikoerhöhender Umstände nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG ausgesetzt, die an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfen.

2. Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG drohen yezidischen Religionszugehörigen ohne Hinzutreten risikoerhöhender Umstände auch nicht im Norden Syriens von Seiten der Freien Syrischen Armee (FSA) - nunmehr Syrische Nationalen Armee (SNA)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Syrien, Jeziden, Yesiden, religiöse Verfolgung, IS, FSA, Assad, Gruppenverfolgung,
Normen: AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Berufung ist in der Sache begründet. Die Klage ist unter entsprechender Änderung des angegriffenen Urteils abzuweisen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG. [...]

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist, sodass ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zugutekommt. [...]

Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft folgt auch nicht aus der yezidischen Religionszugehörigkeit [...]. Yeziden sind in Syrien seitens des syrischen Regimes ohne Hinzutreten risikoerhöhender Umstände nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG ausgesetzt, die an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfen. Dazu weist bereits der Bericht des European Asylum Support Office (EASO), Country Guidance Syria vom November 2021, Seite 111 (ecoi.net ID 2064844), unter Bezugnahme auf weitere Erkenntnisquellen, darauf hin, dass Yeziden nicht regelhaft, sondern in Abhängigkeit von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles und dem Hinzutreten gefahrerhöhender Umstände, beispielsweise einer Zusammenarbeit mit oppositionellen Gruppierungen und/oder deren Kampfverbänden, von Verhaftung und Misshandlung bedroht sind. [...] Auch nach dem Bericht des UNHCR "Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen", 6. aktualisierte Fassung vom März 2021, gestaltet sich die Lage religiöser Minderheiten je nach Gebiet unterschiedlich und abhängig davon, welche Partei das jeweilige Gebiet kontrolliert, wie Mitglieder der religiösen Minderheit von der jeweiligen Partei wahrgenommen und beurteilt werden und zuletzt auch abhängig davon, wie sich der Konflikt und die Machtverhältnisse in dem jeweiligen Gebiet entwickeln [...]. In Gebieten, die von extremistischen oder radikalislamischen Gruppen wie dem IS bzw. von Hay’at Tahrir Al-Sham (HTS) kontrolliert werden, besteht nach Einschätzung des UNHCR für Mitglieder religiöser Minderheiten die Gefahr, entführt, gefoltert und getötet zu werden. Durch die Verdrängung des IS und die damit einhergehenden territorialen Kontrollverluste sind Angriffe durch diese islamistischen Extremisten allerdings zurückgegangen [...]. In den Teilen Syriens, die mittlerweile wieder unter der Kontrolle der syrischen Regierung stehen, benötigen religiöse Minderheiten "je nach den Umständen des Einzelfalls" aufgrund ihrer Religion, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder anderer maßgeblicher Gründe gegebenenfalls internationalen Schutz [...]. Im Ganzen ergibt sich auch aus dem Bericht des UNHCR, dass Yeziden und auch anderen religiösen Minderheiten in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, ebenso wie in den unter kurdischer Selbstverwaltung stehenden Gebieten nicht allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit bzw. einer atheistischen Haltung mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlungen drohen. Besondere gefahrerhöhende Umstände, die im vorliegenden Fall aufgrund des yezidischen Glaubens des Klägers gleichwohl auf eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit hindeuten, hat der Kläger nicht vorgetragen und solche sind auch sonst nicht ersichtlich [...]. Solche ergeben sich auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht aus dem Umstand, dass Kämpfer des IS im Jahr 2015 in das Kurdengebiet von Aleppo eingedrungen sind. Denn seither ist der IS - wie bereits dargestellt - in Syrien stark zurückgedrängt worden und auch Aleppo steht nicht mehr unter der Herrschaft der islamistischen Terrormiliz [...].

Auch seitens der Freien Syrischen Armee (FSA) - nunmehr Syrische Nationale Armee (SNA) - droht dem Kläger keine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG. Zum einen gehört die Heimatregion des Klägers (Aleppo) mittlerweile in weiten Teilen zu den unter der Kontrolle der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten stehenden Gebieten [...]. Zum anderen richten die Kampfhandlungen der FSA/SNA in den Frontgebieten im Norden Syriens nicht gezielt gegen Kurden oder Yeziden, sondern gegen die syrischen Regierungstruppen und rivalisierende Kampfverbände, wie die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG) und die Syrian Democratic Forces (SDF) [...]. Andere individuelle Umstände, welche die Annahme einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. [...]