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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 13.05.2024 - 27 L 2717/23 - asyl.net: M32445
https://www.asyl.net/rsdb/m32445
Leitsatz:

Den Interessen der BRD ist im Einzelfall Vorrang vor dem Wohl des Kindes einzuräumen: 

1. Bei sicherheitspolitischen Interessen, wie etwa dem Schutz des Gemeinwesens vor Terrorismus, Betäubungsmitteln und Gewaltdelikten, haben die Interessen der Bundesrepublik Vorrang vor dem Wohl des Kindes oder anderen familiären Belangen. Weder aus dem Grundgesetz noch aus der UN-Kinderrechtskonvention ergibt sich ein Anspruch auf voraussetzungslosen Kinder- oder Elternnachzug. Das Kindeswohl ist zwar vorrangig zu berücksichtigen; es genießt aber keinen unbedingten Vorrang.

2. Eine Ausweisung wegen der Zugehörigkeit und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ist auch bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses rechtmäßig.

3. Einer Abschiebungsandrohung von sieben Tagen gem. § 59 Abs. 1 AufenthG steht im Falle eines Asylfolgeantrages die Rechtsmittelfrist entgegen. § 71 Abs. 5 S. 3 AsylG sieht in der neuen Fassung vom 21.02.2024 vor, dass die Abschiebung eines Ausländers nach der Stellung eines Asylfolgeantrages erst nach Ablauf der Frist des § 74 Abs.1, 2. Hs. AsylG und im Fall eines innerhalb der Frist gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO erst nach der gerichtlichen Ablehnung dieses Antrags vollzogen werden darf. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausweisung, Suspensiveffekt, Wiederholungsgefahr, terroristische Vereinigung, Islamischer Staat, Todesstrafe, Doppelverfolgung, Irak, Abschiebungsandrohung, Kindeswohl, UN- Kinderrechtskonvention
Normen: AufenthG § 53, AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 59, AsylG § 71 Abs. 5 S. 3, AsylG § 74 Abs. 1, GG Art. 6, EMRK Art. 8, UN-KRK Art. 24
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller ist ein irakischer Staatsangehöriger, [...]

Mit Urteil vom ... 2021 (...) verurteilte das OLG ... den Antragsteller – der sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hatte – wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und mit Terrorismusfinanzierung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten. [...]

Am ... 2022 wurde der Antragsteller in die JVA ... verlegt. Nach der Verlegung erhielt der Antragsteller weiterhin regelmäßig Besuch von seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern. Seine Zweitfamilie besuchte den Antragsteller in der JVA ... nicht. [...]

Mit Ordnungsverfügung vom 00. September 2023 wies der Antragsgegner den Antragsteller aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1). Er drohte ihm die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei, im Wege des unmittelbaren Zwanges aus der Haft heraus ohne Fristsetzung an. Für den Fall der Haftentlassung drohte er ihm die Abschiebung für den Fall an, dass er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von sieben Tagen ab dem Zeitpunkt seiner Haftentlassung freiwillig verlassen haben sollte (Ziffer 2). Er erließ ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das ab dem Tag der Ausreise des Antragstellers unbefristet gilt (Ziffer 3). Er beschränkte den Aufenthalt des Antragstellers räumlich auf die Stadt ..., mit Ausnahme der Erlaubnis, sich zur Erfüllung seiner Meldepflicht in der Stadt ... aufzuhalten (Ziffer 4). Er verpflichtete ihn, sich täglich zwischen 10.00 und 12.00 Uhr bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle in ... zu melden, wobei diese Verpflichtung ruhe, solange der Antragsteller sich in Haft befinde (Ziffer 5). Er untersagte ihm die Kontaktaufnahme zu allen Personen, welche dem IS angehören oder ihm angehört haben und bezeichnete einen dazu insbesondere gehörenden Personenkreis (Ziffer 6). Er untersagte dem Antragsteller, folgende Kommunikationsmittel zu nutzen: EDV-gestützte Kommunikationsmittel, Mobiltelefone aller Art, öffentliche und private Fernsprecher aller Art und Faxgeräte aller Art. Er nahm von diesem Verbot die Nutzung eines nicht-internetfähigen Mobiltelefons nach vorheriger Anzeige der Telefon-, Karten- und Gerätenummer sowie die Nutzung eines Mobiltelefons, das dem Antragsteller im Falle der elektronischen Aufenthaltsüberwachung von der für die elektronische Aufenthaltsüberwachung zuständigen Behörde zur Verfügung gestellt werde, aus (Ziffer 7). Der Antragsgegner drohte dem Antragsteller für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 4 die Anwendung unmittelbaren Zwangs an (Ziffer 8). Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 5 drohte er ihm ein Zwangsgeld i.H.v. 100 Euro an (Ziffer 9). Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 6 drohte er ihm ebenfalls ein Zwangsgeld i.H.v. 100 Euro an (Ziffer 10). Auch für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 7 drohte er ihm ein Zwangsgeld i.H.v. 100 Euro an (Ziffer 11). Der Antragsgegner ordnete die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 4 und 5 der Verfügung an (Ziffer 12). [...]

Der am 6. Oktober 2023 sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 27 K 7349/23 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom ... September 2023 bezüglich der Ziffern 2, 3, 7, 8, 9 und 11 anzuordnen und bezüglich der Ziffern 1, 4 und 5 wiederherzustellen, hat nur im tenorierten Umfang Erfolg. Er ist, soweit er die Ziffern 1, 4, 5, 7, 8, 9 und 11 der Ordnungsverfügung betrifft, zulässig, aber unbegründet (A.). Bezüglich der Bestimmung eines unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 3 der Ordnungsverfügung ist der Eilantrag bereits unzulässig (B.). Soweit der Antrag die Ziffer 2 der Ordnungsverfügung betrifft, ist er zulässig und begründet (C.).

A. Der Antrag ist in Bezug auf die Ziffern 1, 4, 5, 7, 8, 9 und 11 zulässig (I.), aber unbegründet (II.). [...]

II. Der gegen die Ziffern 1, 4, 5, 7, 8, 9 und 11 der Ordnungsverfügung vom 00. September 2023 gerichtete Eilantrag erweist sich als unbegründet. [...]

a) Die Voraussetzungen für die Ausweisung des Antragstellers sind zu dem für deren Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gegeben (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, juris, Rn. 14 ff., und vom 13. Januar 2009 - 1 C 2/08 -, juris, Rn. 12. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3a AufenthG. [...]

Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1, Abs. 4, 3a AufenthG liegen für die Ausweisung des Antragstellers vor. In seinem Falle sind Ausweisungsinteressen nach § 54 AufenthG erfüllt (aa.). Sein persönliches Verhalten stellt gegenwärtig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG dar (bb.). Zudem liegen zwingende Gründe der nationalen Sicherheit vor, welche die Ausweisung des Antragstellers nach § 53 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3a AufenthG rechtfertigen (cc.). Unter Berücksichtigung der Bleibeinteressen des Antragstellers (dd.) überwiegen im Rahmen einer Abwägung die Ausweisungsinteressen mit der Folge, dass sich die Ausweisung für die Wahrung dieser Interessen als unerlässlich erweist (ee.).

aa) Der Antragsteller verwirklicht die besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (1) und des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (2). [...]

(2) Weiterhin liegt das Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. [...]

Der Antragsteller erfüllt diese Voraussetzungen. Tatsachen rechtfertigen die Schlussfolgerung, dass er eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt – nämlich den sogenannten IS – (a), unterstützt (b) und ihr angehört hat (c). Ein erkennbares und glaubhaftes Abstandnehmen von diesem Handeln liegt nicht vor (d).

(a) Bei dem IS handelt es sich auch aktuell (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt Bayerischer VGH, Urteil vom 27. Oktober 2017 - 10 B 16.1252 -, juris, Rn. 38) um eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt,  im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. [...]

(b) Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Antragsteller den IS unterstützt hat.

Die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfasst alle Verhaltensweisen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. [...] Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3/16 -, juris, Rn. 31 ff.). [...]

Im Bereich des Ausweisungsrechts gilt für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst und keine von der Person unmittelbar ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Der Unterstützerbegriff ist weit auszulegen und anzuwenden, um damit auch der völkerrechtlich begründeten Zwecksetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen. Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell als gefährlich erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3/16 -, juris, Rn. 34 f.; Bayerischer VGH, Urteil vom 27. Oktober 2017 - 10 B 16.1252 -, juris, Rn. 38).

Gemessen daran hat der Antragsteller auf Grundlage der überzeugenden Feststellungen des Oberlandesgerichtes ... im Urteil vom 4. Februar 2021, welche sich die Kammer zu eigen macht, den IS in mehrfacher Hinsicht unterstützt. Er animierte seine Anhänger zwischen 2014 und 2016, entweder zum IS auszureisen und im damaligen Herrschaftsgebiet der Organisation tätig zu werden oder im Namen des IS in Deutschland aktiv zu werden, bis hin zur Begehung von Anschlägen. Ausreisewillige unterstützte er in vielfältiger Weise, etwa durch die Vermittlung von Kontakten, von Verhaltenshinweisen und in finanzieller Hinsicht. Agierte der Antragsteller im Rahmen seiner Predigten und Vorträge eher versteckt, vertrat er in kleinerem Kreis offen die Ideologie des IS. Konkret unterstützte der Antragsteller den Ausreisewilligen ... bei dessen beabsichtigtem Anschluss an den IS, indem er ihm etwa Schleuserkontakte vermittelte und ihm darüber hinaus mindestens 2.000,- Euro gab, um dessen Ausreise zu finanzieren. Nachdem ... ausgereist war und sich dem IS angeschlossen hatte, kam er aufgrund der Fürsprache und Unterstützung des Antragstellers zeitnah in eine bedeutende Position im Sicherheitsapparat der damals bestehenden Organisationsstruktur des IS und wurde letztlich Teil des "...", des IS-Geheimdienstes. Weiterhin unterstützte der Antragsteller die Ausreisen von ... und ..., wobei er sich beiden gegenüber als Beauftragter des IS für Ausreisen in dessen Herrschaftsgebiet bezeichnete. Er bot beiden finanzielle Unterstützung an – ... übergab er später 500,- Euro –, sagte ihnen die Benennung von Kontaktpersonen im Grenzgebiet und bei dem IS zu und versicherte, für sie gegenüber dem IS als Bürge einzutreten. Nachdem sich … nach seiner Ausreise aufgrund eines gescheiterten Fluchtversuchs vom IS in dessen Haft befand, intervenierte der Antragsteller und erwirkte dessen Freilassung.

(c) Tatsachen rechtfertigen auch die Annahme, dass der Antragsteller dem IS angehört hat. Von einem "Angehören" ist im Falle einer förmlichen Mitgliedschaft in der Vereinigung auszugehen, wenngleich es einer solchen nicht zwingend bedarf. Ein Angehören ist vielmehr auch dann anzunehmen, wenn der Ausländer im Einvernehmen mit der Vereinigung dauerhaft an ihrem Leben teilnimmt. Die bloße passive Mitgliedschaft ohne jeden Austausch zwischen Ausländer und Vereinigung genügt demgegenüber nicht [...]

(d) Von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln hat der Antragsteller nicht im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG a.E. erkennbar und glaubhaft Abstand genommen.

Ein Abstandnehmen in diesem Sinne setzt voraus, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und auf  Grund dessen künftig von ihm keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mehr ausgeht. Allein der Umstand, dass Unterstützungshandlungen zwischenzeitlich eingestellt sind und schon mehrere Jahre zurückliegen, genügt nicht, um das in der Person des Ausländers zutage getretene Gefahrenpotential als nicht mehr gegeben anzusehen. Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es vielmehr, dass der Ausländer in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit durch sein Handeln die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet zu haben [...].

Dieses Erfordernis stellt auch keinen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen nemo tenetur-Grundsatz dar. Insoweit besteht kein gleichsam doppeltes Recht, einerseits im Strafverfahren zu schweigen und andererseits im gefahrenabwehrrechtlichen Verwaltungsverfahren von einer negativen Prognoseentscheidung verschont zu bleiben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2023 - 1 VR 1/23 -, juris, Rn. 49). [...]

bb) Das persönliche Verhalten des Antragstellers stellt gegenwärtig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG dar.

Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob im Falle einer Verwirklichung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die gesonderte Feststellung einer (fortbestehenden) Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG entbehrlich ist [...]

Für die Feststellung der Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts [...]

Bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung gelten für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist [...]

Soweit – wie vorliegend – eine Wiederholungsgefahr für Handlungen im Bereich der Terrorismusunterstützung besteht, darf dies nach der Rechtsprechung des EuGH nicht automatisch zur Aufhebung eines Aufenthaltstitels des Ausländers führen. Vielmehr ist für die Feststellung des Vorliegens zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung in einem ersten Schritt zunächst zu prüfen, ob es sich bei der durch den Ausländer unterstützten Organisation um eine Terrororganisation im Sinne der europäischen Maßgaben handelt. Ist dies der Fall, ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat, und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3/16 -, juris, Rn. 52, unter Berufung auf EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 -, juris, Rn. 83 ff.). [...]

dd) Den im Fall des Antragstellers bestehenden Ausweisungsinteressen stehen besonders schwerwiegende Bleibeinteressen im Sinne von § 55 Abs. 1 AufenthG entgegen. Zum einen besaß er zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung am ... September 2023 (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, juris, Rn. 23 ff.) eine Niederlassungserlaubnis und hat sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Hinzu tritt das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, das Ausländern zur Seite steht, die mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft leben, ihr Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem ihr Umgangsrecht ausüben. Der Antragsteller kann sich jedenfalls mit Blick auf seine Ehefrau ... und die Ausübung des Sorgerechts für seine Kinder …, ... und ... auf dieses Bleibeinteresse berufen, mit denen er – ungeachtet der konkreten Art und Intensität der Paar- bzw. Eltern-Kind-Beziehung während der Inhaftierungszeiten des Antragstellers – zum maßgeblichen Zeitpunkt jedenfalls regelmäßig familiären Umgang gepflegt hat.

Zudem verfügt der Antragsteller über weitere, nicht normierte Bleibeinteressen. So befindet sich im Bundesgebiet seine deutsche "Zweitfrau" ..., mit der er nach islamischem Ritus verheiratet ist, sowie die drei gemeinsamen deutschen Kinder. Auch wenn der Antragsteller für diese nicht die Personensorge ausübt und angesichts des während seiner Inhaftierung abgebrochenen Kontaktes nicht davon auszugehen ist, dass der Antragsteller nach seiner Haftentlassung eine familiäre Lebensgemeinschaft mit diesen Kindern wiederherstellen wird, hat der Antragsteller ein Interesse daran, im Bundesgebiet zu verbleiben, um den Kontakt zu Frau ... und den gemeinsamen Kindern wieder zu intensivieren. Weiterhin ist sein Interesse an der Führung einer familiären Beziehung mit seiner volljährigen Tochter ... im Bundesgebiet sowie das Interesse seiner Tochter daran zu berücksichtigen. Schließlich ist davon auszugehen, dass der Antragsteller während seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet Sozialkontakte aufgebaut hat, an deren weiterer Pflege im Bundesgebiet er ebenfalls ein Interesse hat.

ee) Die Ausweisung des Antragstellers erweist sich schließlich auch unter Abwägung der gegen ihn bestehenden Ausweisungsinteressen mit seinen Bleibeinteressen als verhältnismäßig. [...]

Nicht zu berücksichtigen sind im Rahmen der Abwägung hingegen geltend gemachte Gefahren im Herkunftsstaat, die die Schwelle zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 AufenthG überschreiten, jedenfalls insoweit, als für das Abschiebungsverbot eine ausschließliche Prüfungszuständigkeit des Bundesamts besteht und dieses ein solches Verbot bisher nicht festgestellt hat. Dies gilt insbesondere für zielstaatsbezogene Gefahren, die ihrer Art nach objektiv geeignet sind, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling oder die Zuerkennung subsidiären Schutzes zu begründen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Ausländer mit einem materiellen Asylbegehren nach § 13 AsylG hinsichtlich aller zielstaatsbezogener Schutzersuchen und Schutzformen auf das Asylverfahren vor dem Bundesamt zu verweisen; er hat kein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt. Hat er bereits erfolglos ein Asylverfahren durchgeführt, ist unabhängig davon die Ausländerbehörde zudem gemäß § 6 Satz 1 und § 42 Satz 1 AsylG an die in jenem Verfahren (zuletzt) getroffene Entscheidung des Bundesamts oder des Verwaltungsgerichts gebunden. Diese Bindungswirkung kommt nach ständiger Rechtsprechung auch negativen Entscheidungen des Bundesamts zu. Auch bei nachträglicher erheblicher Änderung der Sachlage ist ausschließlich das Bundesamt zur Korrektur seiner einmal getroffenen Feststellungen befugt, und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der seit der Erstentscheidung des Bundesamts verstrichen ist. Die Ausländerbehörde ist deshalb im Ausweisungsverfahren an eine negative Entscheidung des Bundesamtes gebunden. Sie ist nach bisheriger Rechtsprechung auch nicht verpflichtet, das Ausweisungsverfahren auszusetzen, bis das Bundesamt eine aktuelle Entscheidung über einen Asylfolgeantrag oder ein Folgeschutzgesuch getroffen hat, sondern darf ihre Entscheidung (zunächst) auf der unterstellten, nicht notwendigerweise weiterhin zutreffenden tatsächlichen Grundlage treffen, dass kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Februar 2022 - 1 C 6/21 -, juris, Rn. 34, und vom 16. Dezember 2021 - 1 C 60/20 -, juris, Rn. 53 f.). [...]

Dies berücksichtigt, erweist sich die Ausweisung des Antragstellers unter Berücksichtigung sämtlicher Bleibeinteressen – insbesondere von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK – als verhältnismäßig.

Zugunsten des Antragstellers ist dabei unter Berücksichtigung von Art. 6 GG zunächst sein Interesse an der Führung einer familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau ... und seinen minderjährigen deutschen Kindern ..., ..., ... , ..., ... und ... in die Abwägung einzustellen sowie das Interesse dieser Kinder und seiner Ehefrau an der Aufrechterhaltung der familiären Beziehungen zum Antragsteller im Bundesgebiet. [...]

Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit der Familienmitglieder. Schutz genießt insbesondere die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind, die durch tatsächliche Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes geprägt ist. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft zwischen dem betreffenden Ausländer und seinem Kind besteht und ob die von ihm tatsächlich erbrachte Zuwendung auch (allein) vom anderen Elternteil oder Dritten erbracht werden. Vielmehr sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 -, juris, Rn. 46 ff.; VG Stuttgart, Beschluss vom 19. Februar 2024 - 3 K 958/24 -, juris, Rn. 9 m.w.N.). [...]

Die Zumutbarkeit einer auch nur vorübergehenden Trennung zwischen einem Elternteil und seinem Kind wird umso eher zu verneinen sein, je mehr davon auszugehen ist, dass hierdurch die emotionale Bindung des Kindes zu diesem Elternteil Schaden nimmt. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere dann, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 -, Rn. 48, und vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 -, juris, Rn. 14).

Dies schließt es allerdings nicht aus, im konkreten Einzelfall sonstigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland Vorrang vor dem Wohl eines Kindes oder sonstigen familiären Belangen einzuräumen; dies gilt beispielsweise für das sicherheitspolitische Interesse, das Gemeinwesen vor Terrorismus, Betäubungsmittelkriminalität und Gewaltdelikten zu schützen. Denn selbst aus einer Zusammenschau von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG mit Art. 3, Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention folgt kein Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kinder- oder Elternnachzug. Das Kindeswohl ist zwar vorrangig zu berücksichtigen; es genießt aber keinen unbedingten Vorrang. Ein solcher ergibt sich aufgrund von Art. 52 Abs. 1 EU-GR-Charta auch nicht aus den in Art. 24 EU-GR-Charta verankerten Grundrechten des Kindes (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 - 1 C 8/21 -, juris, Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 25. Juli 2023 - 11 S 985/22 -, juris, Rn. 22, und vom 4. Juli 2023 - 11 S 448/23 -, juris, Rn. 11; VG Stuttgart, Beschluss vom 19. Februar 2024 - 3 K 958/24 -, juris, Rn. 13). [...]

Bei Abwägung dieser für den Antragsteller sprechenden Belange erweist sich seine Ausweisung dennoch angesichts der erheblichen Ausweisungsinteressen als verhältnismäßig und der Eingriff im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK auch als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Diese Belange müssen mit Blick auf die von ihm ausgehende hohe Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zurücktreten. [...]

Der Antrag hat hingegen Erfolg, soweit er sich gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 der Ordnungsverfügung vom 00. September 2023 richtet. [...]

Der Antrag erweist sich auch als begründet, weil das Aussetzungsinteresse des Antragstellers diesbezüglich das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung überwiegt.

Zwar dürfte sich die auf § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung zum Entscheidungszeitpunkt als rechtmäßig erweisen. Nach dieser Norm ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen, wenn keine Abschiebungsverbote vorliegen und der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Antragsteller ist zum Entscheidungszeitpunkt trotz der Stellung seines Asylfolgeantrags weiter ausreisepflichtig (vgl. § 50 Abs. 1 AufenthG). [...]

Soweit der Antragsgegner dem Antragsteller für den Fall der Haftentlassung eine Frist von sieben Tagen ab dem Zeitpunkt der Haftentlassung eingeräumt hat, ist diese Frist angesichts der vom Antragsteller ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und den vom Antragsgegner angestellten Ermessenserwägungen nicht zu beanstanden.

Jedoch überwiegt ungeachtet dessen das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da er trotz fehlender Aufenthaltsgestattung aufgrund der Stellung seines Asylfolgeantrags derzeit nicht in den Irak abgeschoben werden darf. § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG in der aktuellen Fassung, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. Teil I 2024, Nr. 54), sieht nämlich vor, dass die Abschiebung eines Ausländers nach der Stellung eines Asylfolgeantrages – außer in den hier nicht einschlägigen, von § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG n.F. erfassten Fällen – erst nach Ablauf der Frist des § 74 Abs.1, 2. Hs. AsylG und im Fall eines innerhalb der Frist gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO erst nach der gerichtlichen Ablehnung dieses Antrags vollzogen werden darf. Selbst im Fall der Ablehnung dieses Asylantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Ziffer 5 AsylG darf eine Abschiebung des Antragstellers mithin nicht vor Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesamtes über seinen Asylfolgeantrag und bei Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes vor Entscheidung im gerichtlichen Eilverfahren vollzogen werden. Daneben spricht weiterhin für ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses im Entscheidungszeitpunkt, dass nach Angaben des Antragsgegners im Rahmen der Passersatzpapier-Beschaffung vom 4. Oktober 2023 (Beiakte Heft 2, Bl. 1854) das Einverständnis der Staatsanwaltschaft mit dem Absehen von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe des Antragstellers nach § 456a StPO, das Voraussetzung für eine Abschiebung des Antragstellers vor Ablaufs einer Haftzeit ist, bislang nicht vorliegt. Es ist auch weder vom Antragsgegner mitgeteilt worden, dass dieses Einverständnis zwischenzeitlich erteilt worden ist, noch ist dies sonst, etwa aus dem übersandten Vollstreckungsheft, ersichtlich. Sollten die Voraussetzungen des § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG n.F. vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens eintreten und die Staatsanwaltschaft das Einverständnis nach § 456a StPO erteilen, ist es dem Antragsgegner unbenommen, einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen. [...]