Ohne Zweifel an Identität keine qualifizierte Ablehnung des Asylantrags wegen Vernichtung des Passes:
Eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet wegen der mutwilligen Vernichtung oder Beseitigung von Personaldokumenten kommt nicht in Betracht, wenn aus anderen Gründen keine Zweifel an Identität und Staatsangehörigkeit der asylsuchenden Person bestehen. Denn dann hat sich die Vernichtung oder Beseitigung des Personaldokuments nicht auf deren Feststellung ausgewirkt.
(Leitsätze der Redaktion, siehe auch, mit Begründungsschwerpunkt auf dem Fehlen der Absicht, über Identität und Staatsangehörigkeit zu täuschen: VG Köln, Beschluss vom 19.04.2024 – 23 L 511/24.A – asyl.net: M32406)
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Es bestehen derzeit ernstliche Zweifel daran, dass vorliegend die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags der Antragsteller als offensichtlich unbegründet und damit für eine Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche vorgelegen haben.
Das Bundesamt hat hier unter Berufung auf § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG die Anträge auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Es hat sich zur Begründung dieser Entscheidung darauf berufen, die Antragstellerin habe im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung angegeben, sie und der Antragsteller hätten ihre Originalpässe auf Empfehlung des Schleppers bei der Ausreise aus der Türkei, wo sie sich vor ihrer Weiterreise nach Deutschland etwa drei bis vier Monate aufgehalten hätten, vernichtet.
Nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen. Die Voraussetzungen für eine hierauf gestützte Offensichtlichkeitsentscheidung liegen hier jedoch nicht vor.
§ 30 AsylG hat durch Artikel 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. 2024, Nr. 54 vom 26. Februar 2024), in Kraft getreten am 27. Februar 2024, eine für die vorliegend zu treffende Entscheidung maßgebliche Neufassung erhalten. Insoweit soll § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG n. F. nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 24. November 2023 der Umsetzung von Art. 32 Abs. 2 i. V. m. Art. 31 Abs. 8 lit. d der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Asylverfahrensrichtlinie) dienen, denen zufolge die Mitgliedstaaten einen unbegründeten Antrag als offensichtlich unbegründet betrachten können, wenn angenommen werden kann, dass der Antragsteller ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat. Die Neufassung soll nach der Gesetzesbegründung die nach bisheriger Rechtslage in § 30 Abs. 3 Nrn. 2 und 5 AsylG a. F. geregelten Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit durch Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments erfassen (vgl. BT-Drucksache 20/9463, S. 56; vgl. hierzu auch VG Dresden, Beschluss vom 6. März 2024 - 2 L 116/24.A -, Rn. 13).
Aus der Gesetzesbegründung und auch aus dem Wortlaut der Neufassung wird deutlich, dass nicht jede Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments zu einer Qualifizierung der Ablehnung eines unbegründeten Asylantrags als offensichtlich unbegründet führen soll, sondern allein eine solche, die im Ergebnis die sichere Feststellung von Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden verhindert hat. Denn nur dann ist die Annahme gerechtfertigt, dass gerade das vernichtete oder beseitigte Personaldokument die Feststellung von Identität oder Staatsangehörigkeit "ermöglicht hätte". Bestehen aber aus anderen Gründen keine Zweifel an Identität und Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden, hat sich die Vernichtung oder Beseitigung des Personaldokuments auf deren Feststellung nicht ausgewirkt (vgl. VG Köln, Beschluss vom 19. April 2024 - 23 L 511/24.A -, Rn. 10; vgl. zudem zur Altfassung des § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG: VG Ansbach, Beschluss vom 4. September 2020 - AN 4 S 20.30768 -, juris, Rn. 17 f.). [...]