VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 19.04.2024 - 14 K 119/24 - asyl.net: M32399
https://www.asyl.net/rsdb/m32399
Leitsatz:

Vorübergehender Schutz für Ehegatt*innen ukrainischer Staatsangehöriger setzt keine Aufenthaltserlaubnis in der Ukraine voraus:

"Für einen aus einem Drittstaat stammenden Ehegatten eines ukrainischen Staatsangehörigen, der zum maßgeblichen Stichtag seinen Wohnsitz in der Ukraine hatte und mit diesem tatsächlich im Familienverbund zusammengelebt hat, dürfte für eine Anspruchsberechtigung nach Art. 2 Abs. 1 c), Abs. 4 a) des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 [...] - anders als bei sonstigen Drittstaatsangehörigen nach Art. 2 Abs. 2 und 3 - nicht erforderlich sein, dass er sich zuvor rechtmäßig, insbesondere mit einem Aufenthaltstitel, in der Ukraine aufgehalten hat."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ukraine, drittstaatsangehöriger Ehegatte, Aufenthaltserlaubnis, vorübergehender Schutz, Familienangehörige, Massenzustromsrichtlinie, Richtlinie zum vorübergehenden Schutz,
Normen: AufenthG § 24 Abs. 1, Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 Art. 2 Abs. 1 Bst. c, Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 Art. 2 Abs. 4 Bst. a,
Auszüge:

[...]

26 b) Bei summarischer Prüfung hat der Antragsteller in dem für die rechtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz voraussichtlich einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 c), Abs. 4 a) des Durchführungsbeschlusses. [...]

28 aa) Der Antragsteller unterfällt bei summarischer Prüfung dem Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 c, Abs. 4 a) des Durchführungsbeschlusses. Ausweislich der vom Bezirksstandesamt ... in der Stadt ... ausgestellten Heiratsurkunde ist der Antragsteller seit dem ... 2016 mit der ukrainischen Staatsangehörigen ... verheiratet. Nach seinen Angaben hat er mit dieser in der Ukraine in häuslicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt, was diese mit einem im Verwaltungsverfahren vorgelegten Schreiben bestätigte. Zwar reiste der Antragsteller ohne seine Ehefrau in die Bundesrepublik ein, da diese zunächst in der Ukraine bleiben wollte (vgl. zu dieser Konstellation Hessischer VGH, Beschluss vom 17.5.2023 - 3 B 1948/22 - juris Rn. 12 ff.). Die Ehefrau des Antragstellers ist jedoch zwischenzeitlich am ... 2023 auch in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG mit einer Gültigkeit bis zum 4. März 2025 erhalten [...].

29 bb) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners dürfte es für die Anspruchsberechtigung nach Art. 2 Abs. 1 c), Abs. 4 a) des Durchführungsbeschlusses darüber hinaus nicht erforderlich sein, dass sich der Ehegatte des ukrainischen Staatsangehörigen vor dem 24. Februar 2022 rechtmäßig, insbesondere mit einem ukrainischen Aufenthaltstitel, in der Ukraine aufgehalten hat (so zum Ausgangsbescheid bereits VG Karlsruhe, Beschluss vom 9.10.2023 - 5 K 3245/23 -).

30 Weder aus Art. 2 Abs. 1 c) noch aus Art. 2 Abs. 4 a) des Durchführungsbeschlusses ergibt sich als Tatbestandsvoraussetzung der vorherige rechtmäßige Aufenthalt des aus einem Drittstaat kommenden Ehegatten eines ukrainischen Staatsangehörigen in der Ukraine. Nach Art. 2 Abs. 4 des Durchführungsbeschlusses reicht es für die Eigenschaft als Familienangehöriger vielmehr aus, wenn die Familie vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine anwesend und aufhältig war. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist weder der Begriff '"anwesend" noch '"aufhältig" mit der rechtlichen Wertung im Sinne eines rechtmäßigen Aufenthalts versehen. Unter '"anwesend" wird verstanden, dass eine Person aus einem bestimmten Anlass an einem Ort zugegen ist (vgl. www.duden.de/rechtschreibung/anwesend) und unter '"aufhältig", dass eine Person an einem bestimmten Ort wohnhaft ist (vgl. www.duden.de/rechtschreibung/aufhaeltig). Der Wortgebrauch impliziert, dass als Anspruchsberechtigte alle Drittstaatsangehörige, die mit ihrem ukrainischen Ehegatten zum Stichtag tatsächlich als Familie in der Ukraine gelebt und dort ihren Wohnsitz hatten, erfasst werden sollten. Auch die in der englischen Fassung verwendeten Begriffe '"present" und '"residing" und in der französischen Fassung verwendeten Begriffe '"présente" und '"résidait" implizieren nach dem allgemeinen Sprachverständnis nicht, dass ein rechtlich rechtmäßiger Aufenthalt erforderlich ist.

31 Für dieses Verständnis spricht auch der systematische Vergleich mit den weiteren eigenständigen Regelungen in Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses. Diese knüpfen im Hinblick auf die Anspruchsberechtigung von Drittstaatsangehörigen tatbestandlich explizit an das Vorliegen eines Aufenthaltstitels oder eines sonstigen rechtmäßigen Aufenthalts in der Ukraine an. [...]

35 Unabhängig davon, dass es für die Anspruchsberechtigung nach Art. 2 Abs. 1 c) des Durchführungsbeschlusses nicht darauf ankommt, ergeben sich für die Auslegung des Antragsgegners schließlich auch keine Anhaltspunkte aus den Umsetzungshinweisen des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat vom 14. März 2022 und 5. September 2022, diese machen es - auch nach dem Verständnis des Antragsgegners - vielmehr gerade nicht zur Voraussetzung der Anspruchsberechtigung, dass sich der Ehegatte legal in der Ukraine befunden haben muss. [...]