BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 14.09.2023 - 2 BvR 107/21 - asyl.net: M32333
https://www.asyl.net/rsdb/m32333
Leitsatz:

Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag zur Aufenthaltsgewährung in Härtefällen:

§ 23a Abs. 2 Satz 1 AufenthG steht, wie der Verfassungsgerichtshof Thüringen zutreffend ausgeführt hat, mit dem Parlamentsvorbehalt in Einklang. Dieser im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnde Grundsatz gebietet, dass in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, die wesentlichen Entscheidungen von der Gesetzgebung getroffen werden. Diesem Erfordernis trägt § 23a Abs. 2 AufenthG Rechnung, indem er in eng begrenzten Ausnahmefällen Abweichungen von den ausdifferenzierten Regelungen des Aufenthaltsgesetzes zulässt, wobei die Abweichungsmöglichkeit durch die vorgeschaltete Prüfungsebene der Härtefallkommission sogar noch weiter eingeschränkt wird. Vorgaben zur Besetzung der Härtefallkommissionen musste die Bundesgesetzgebung nicht machen, da die Härtefallkommissionen die Entscheidungen der obersten Landesbehörden nur vorbereiten.

(Leitsätze der Redaktion; vorhergehend: VerfGH Thüringen, Urteil vom 16.12.2020 - VerfGH 14/18 - asyl.net: M29132)

Schlagwörter: Härtefallkommission, Thüringen, Verfassungsmäßigkeit, Härtefall,
Normen: AufenthG § 23a Abs. 2 S. 1, AufenthG § 23a Abs. 1, GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, GG Art. 100 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Mit ihrer am 14. Januar 2021 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 100 Abs. 1 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 100 Abs. 3 GG, Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG. [...]

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie jedenfalls unbegründet ist. [...]

1. Der Verfassungsgerichtshof hat nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 100 Abs. 1 GG verstoßen.

a) Nach Art. 100 Abs. 1 GG hat ein Gericht, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält, das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. [...]

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, gibt den einzelnen Rechtsuchenden einen Anspruch darauf, dass der Rechtsstreit von ihrem gesetzlichen Richter entschieden wird [...].

Zu den Rechtssätzen, die den zur Entscheidung berufenen Richter bestimmen, zählen auch Vorschriften, die ein Gericht zur Vorlage einer Sache an ein anderes Gericht verpflichten [...].

Für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügt indes nicht jede irrtümliche Überschreitung der den Gerichten gezogenen Grenzen [...]. Durch einen schlichten error in procedendo wird niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen [...]. Eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters liegt indes vor, wenn ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat [...] oder wenn die maßgeblichen Verfahrensnormen in objektiv willkürlicher beziehungsweise offensichtlich unhaltbarer Weise fehlerhaft angewandt wurden [...]

b) Gemessen an diesen Maßstäben hat der Verfassungsgerichtshof nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 100 Abs. 1 GG verstoßen.

Die Ansicht des Verfassungsgerichtshofs, § 23a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei mit dem Grundgesetz vereinbar, ist vertretbar und nicht willkürlich.

aa) § 23a Abs. 2 Satz 1 AufenthG steht, wie der Verfassungsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, mit dem Parlamentsvorbehalt in Einklang. Dieser im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnde Vorbehalt gebietet, dass in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber getroffen werden [...]. Diesem Erfordernis trägt § 23a Abs. 2 AufenthG Rechnung, indem er in eng begrenzten Ausnahmefällen Abweichungen von den ausdifferenzierten Regelungen des Aufenthaltsgesetzes zulässt, wobei die Abweichungsmöglichkeit durch die vorgeschaltete Prüfungsebene der Härtefallkommission sogar noch weiter eingeschränkt wird. Vorgaben zur Besetzung der Härtefallkommissionen musste der Bundesgesetzgeber nicht machen, da die Härtefallkommissionen die Entscheidungen der obersten Landesbehörden nur vorbereiten. [...]

bb) Ebenso steht § 23a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG in Einklang, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden müssen. [...]