OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.03.2024 - 19 E 99/24 - asyl.net: M32328
https://www.asyl.net/rsdb/m32328
Leitsatz:

Kein Absehen von Sprachkenntnissen bei Einbürgerung mangels aussagekräftiger Atteste:

1. Beruft sich eine Person gemäß § 10 Abs. 6 StAG darauf, dass es ihr krankheitsbedingt nicht möglich ist, sich ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache anzueignen, muss sie dies mittels eines fachärztlichen Attests nachweisen.

2. Aus dem fachärztlichen Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, insbesondere inwieweit sie die Fähigkeit zum Erlernen der deutschen Sprache beeinträchtigt. Es bedarf Angaben darüber, welche Art von Befunden erhoben wurden und ob die geschilderten Beschwerden durch die Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.2020 - 19 A 2379/18 - justiz.nrw.de)

Schlagwörter: Einbürgerung, Deutschkenntnisse, Krankheit, Sprachkenntnisse, Sprache, Attest,
Normen: StAG § 10 Abs. 6, StAG § 10 Abs. 1 Nr. 6
Auszüge:

[...]

Die Prozesskostenhilfebeschwerde hat keinen Erfolg.

Sie ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht mit der Begründung abgelehnt, ihre Klage habe keine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO), da sie keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband habe.

Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe zu versagen ist, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance indes nur eine entfernte ist. [...]

Nach diesen Maßstäben ergibt sich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage der - wie oben dargestellt - im Prozesskostenhilfeverfahren maßgeblichen summarischen Würdigung des sich nach Aktenlage ergebenden Sachverhalts zu Recht angenommen, dass § 10 Abs. 6 StAG im Fall der Klägerin kein Absehen von den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG (ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache; Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) gebietet. § 10 Abs. 6 StAG verpflichtet zu einem Absehen von diesen Einbürgerungsvoraussetzungen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

Dabei obliegt es dem Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 StAG i. V. m. § 82 Abs. 1 AufenthG, das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 6 StAG hinreichend substantiiert darzulegen. Beruft er sich auf ein krankheitsbedingtes Unvermögen, so muss er dies regelmäßig durch ein fachärztliches Attest nachweisen. Aus dem Attest muss sich nachvollziehbar mindestens ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, insbesondere inwieweit sie die Fähigkeit des Einbürgerungsbewerbers zum Erlernen der deutschen Sprache beeinträchtigt. Zu den mitzuteilenden ärztlichen Erkenntnisgrundlagen gehören insbesondere Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat, welche Art von Befunderhebung stattgefunden hat und ob die vom Patienten geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben [...].

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin nicht dargelegt, dass sie aus einem in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Grund außerstande ist, die Einbürgerungsvoraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 zu erfüllen. Es fehlt an entsprechenden aussagekräftigen fachärztlichen Attesten.

Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, genügt die im Verwaltungsverfahren eingereichte Fachärztliche Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie, Suchtmedizin und Verkehrsmedizin Dr. ... aus ... vom ... 2022 nicht den oben dargestellten Mindestanforderungen an fachärztliche Atteste zum Beleg psychischer Erkrankungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Die Stellungnahme enthält keine Angaben dazu, auf welcher Grundlage der Arzt seine Diagnosen "Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2, G)" sowie "Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2, G)" gestellt hat. Weiter fehlen Angaben, wie häufig sich die Klägerin seit 2010 in ärztlicher Behandlung befunden hat sowie zum bisherigen Behandlungsverlauf. Die Stellungnahme enthält lediglich die Angaben, die Klägerin befinde sich in "kontinuierlicher ambulanter Behandlung" und trotz "kontinuierlicher medikamentöser Behandlung" sei keine Besserung eingetreten. Insbesondere mangelt es aber an einer substantiierten und nachvollziehbaren Begründung, weshalb es die diagnostizierten Erkrankungen unmöglich machen sollen, "die deutsche Sprache zu erlernen oder die Anforderungen der B1-Prüfung zu erfüllen". Das Attest erschöpft sich in der entsprechenden Behauptung.

Gleiches gilt für die im Klageverfahren ergänzend eingereichte Stellungnahme des Facharztes Dr. ... vom ... 2024. Auch diese erfüllt nicht die dargestellten Mindestanforderungen an fachärztliche Atteste zum Beleg psychischer Erkrankungen, da sie ebenfalls keine Angaben zu den Grundlagen der Diagnosen - nunmehr erweitert um die Diagnose "Leichte kognitive Störung (F06.7, G)" - sowie zum bisherigen Behandlungsverlauf enthält. Ebenso fehlt - anders als von der Klägerin mit ihrer Beschwerde geltend gemacht - erneut eine nachvollziehbare Begründung hinsichtlich der behaupteten Kausalität zwischen den diagnostizierten Erkrankungen und dem geltend gemachten krankheitsbedingten Unvermögen der Klägerin zum Erwerb ausreichender Deutschkenntnisse. [...]

Daran ändern auch die ergänzenden Ausführungen der Klägerin in der Beschwerdebegründung, sie verlasse aufgrund der geschilderten Symptome "fast nie" ihre Wohnung und spreche mit ihren Angehörigen "naturgemäß" nur Arabisch, so dass ein Kontakt zur deutschen Sprache fast nicht stattfinde, nichts. [...]