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VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 25.03.2024 - A 8 K 1026/24 - asyl.net: M32309
https://www.asyl.net/rsdb/m32309
Leitsatz:

Eilrechtsschutz bei Ablehnung eines Folgeantrags gemäß § 123 VwGO zu erlangen:

"1. Auch nach der Änderung des § 71 Abs. 5 AsylG durch das Rückführungsverbesserungsgesetz ist für den Fall, dass ein Folgeantrag als unzulässig abgelehnt wird und das Bundesamt keine neue Abschiebungs­androhung erlässt, Eilrechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft.

2. Nach der Änderung des § 71 Abs. 5 AsylG durch das Rückführungsverbesserungsgesetz bedarf es weiter­hin auch in den Fällen, in denen kein Missbrauch des Asylfolgeantragsrechts vorliegt, vor einer Abschiebung einer Mitteilung an die Ausländerbehörde, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist.

3. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse können bezüglich einer bestandskräftigen Abschiebungs­androhung des Bundesamts als mögliche Verstöße gegen Art. 5 der Rückführungsrichtlinie mit einem Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG oder nach § 51 Abs. 5 und §§ 48 und 49 VwVfG sowie gerichtlich mit einem Antrag nach § 123 VwGO durchgesetzt werden.

4. Für eine Klage sowie einen Eilantrag gegen die Ablehnung eines Asylfolgeantrages als unzulässig gilt nach § 71 Abs. 4 Halbsatz 1, § 36 Abs. 3 Satz 1 und § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG auch dann, wenn das Bundesamt keine erneute Abschiebungsandrohung erlässt, eine Klage- oder Antragsfrist von einer Woche.

5. Eine Ausreise oder Abschiebung in den Herkunftsstaat führt auch mit Blick auf die Rückführungsrichtlinie nicht zur Erledigung einer früheren Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung. Inwieweit ein Verwaltungsakt Bestandskraft besitzt oder Erledigung eintritt, bestimmt sich aufgrund der verfahrensrecht­lichen Autonomie der Mitgliedstaaten nach dem nationalen Verwaltungsverfahrensrecht."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Rückführungsverbesserungsgesetz, Asylverfahrensrecht, Asylfolgeantrag, vorläufiger Rechtsschutz, Abschiebungsandrohung, Rückkehrentscheidung, Rückführungsrichtlinie, Mitteilung an Ausländerbehörde
Normen: AsylG § 71 Abs. 5 S. 1, AsylG § 71 Abs. 5 S. 2, AsylG § 71 Abs. 6 S. 1, VwGO § 123, VwVfG § 51,
Auszüge:

[...]

12 Auch nach der Änderung des § 71 Abs. 5 AsylG durch das Rückführungsverbesserungsgesetz am 27. Februar 2024 ist für den Fall, dass ein Folgeantrag als unzulässig abgelehnt wird und das Bundesamt keine neue Abschiebungsandrohung erlässt, vorläufiger Rechtsschutz am effektivsten dadurch zu erreichen, dass das Bundesamt nach § 123 Abs. 1 VwGO verpflichtet wird, der für die Abschiebung zuständigen Behörde mitzuteilen, dass die Abschiebung des Antragstellers nicht vor rechtskräftiger Entscheidung über seine Klage gegen den den Folgeantrag ablehnenden Bescheid erfolgen darf.

13 Wie die Systematik des § 71 Abs. 4 bis 6 AsylG zeigt, berührt eine ablehnende Entscheidung im Folgeverfahren grundsätzlich nicht die Vollziehbarkeit der bestandskräftigen Abschiebungsandrohung aus dem Erstverfahren. Diese darf vor der Entscheidung im Folgeverfahren nicht vollzogen werden, lebt aber in dem Moment wieder auf, in dem die Voraussetzungen des § 75 Abs. 5 Satz 2 oder 3 AsylG vorliegen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO würde zwar dazu führen, dass die Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung aufschiebende Wirkung hat. Die Bestandskraft der bereits vollziehbaren Abschiebungsandrohung würde durch eine solche Entscheidung jedoch nicht berührt und böte zusammen mit der Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG oder dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG eine taugliche Rechtsgrundlage zur Durchführung der Abschiebung. Eine Mitteilung des Bundesamts an die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde ist nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG in der seit 27. Februar 2024 geltenden Fassung zum Vollzug der Abschiebung jedenfalls für den Fall erforderlich, dass der Ausländer den Folgeantrag nur zur Verzögerung oder Behinderung der Abschiebung gestellt oder - wie hier - nach unanfechtbarer Ablehnung eines Folgeantrags einen erneuten Folgeantrag gestellt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine solche Mitteilung - wie nach der bis zum 26. Februar 2024 geltenden Rechtslage - auch in den Fällen des § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG erforderlich ist, in denen kein "Missbrauchsfall" im Sinne von Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 60 - im Folgenden: Asylverfahrensrichtlinie) vorliegt, dessen Umsetzung § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG dient (vgl. BT-Drs. 20/9463, S. 60). Denn ohne eine solche Mitteilung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, erfährt die für die Abschiebung zu - ständige Ausländerbehörde nicht, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG eingetreten sind.

14 Effektiver Eilrechtsschutz ist daher weiterhin im Einklang mit der vor Inkrafttreten des Rückführungsverbesserungsgesetzes überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nur zu erlangen mit einem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, der darauf gerichtet ist, der Antragsgegnerin aufzugeben, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die Abschiebung nicht vor dem rechtskräftigen Abschluss des Folgeverfahrens erfolgen darf [...] Dieses Rechtsschutzziel ist im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO nicht rechtssicher zu erreichen, weil hier bei einer stattgebenden Entscheidung keine Pflicht zur Mitteilung an die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde tenoriert werden kann.

15 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG in der seit 27. Februar 2024 gültigen Fassung nimmt zwar Bezug auf einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Allerdings ist weder dem Wortlaut der Norm noch der Begründung des Gesetzentwurfs zu entnehmen (vgl. BT-Drs. 20/9463, S. 60), ob der Gesetzgeber diesen Rechtsbehelf auch für den Fall für statthaft gehalten hat, in dem das Bundesamt auf den Erlass einer erneuten Abschiebungsandrohung verzichtet hat. Vielmehr folgt aus dem Fehlen einer Begründung für die nun in § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG enthaltene Bezugnahme auf § 80 Abs. 5 VwGO, dass der Gesetzgeber im Asylgesetz keine Regelung zur Statthaftigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfs treffen und die bisherige überwiegende Rechtsprechung nicht ändern wollte. Vielmehr sollte mit der Regelung in § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG lediglich Art. 46 Abs. 8 der Asylverfahrensrichtlinie umgesetzt werden (vgl. BT-Drs. 20/9463, S. 60), weshalb die Bezugnahme auf einen "nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag" nur auf das nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung statthafte gerichtliche Eilverfahren Bezug nehmen soll, währenddessen wegen Unionsrecht ein Bleiberecht besteht.

16 bb) Auch soweit sich der Antragsteller gegen die in Nummer 2 des Bescheids vom 22. Februar 2024 verfügte Ablehnung des Antrags auf Abänderung des Bescheids vom 25. März 2015 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG betreffend das Kosovo wendet, ist ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft. Insoweit handelt es sich in der Hauptsache um eine Verpflichtungsklage [...].

17 cc) Der Antrag des Antragstellers ist ferner so zu verstehen, dass der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung auch deshalb begehrt wird, weil er in der Hauptsache etwaige Verstöße der Abschiebungsandrohung vom 25. März 2015 gegen Unionsrecht mit einer Verpflichtungs- oder einer Feststellungsklage geltend machen will.

18 (1) Eine Verpflichtungsklage ist in der Hauptsache bezüglich einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung zur Durchsetzung eines etwaigen Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG oder nach § 51 Abs. 5 sowie §§ 48 und 49 VwVfG und Art. 5 oder anderer Vorschriften der Richtlinie 2008/115/EG [...] (im Folgenden: "Rückführungsrichtlinie") grundsätzlich möglich [...].

19 (2) Des Weiteren zielt die begehrte einstweilige Anordnung auch der Sicherung einer Feststellungsklage, mit der festgestellt werden soll, dass die Abschiebungsandrohung vom 25. März 2015 gegenüber dem Antragsteller keine Wirkung mehr entfaltet, weil sie möglicherweise unwirksam geworden ist [...]

22 c) Die Antragsfrist des § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG in Verbindung mit § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG (eine Woche nach Bekanntgabe des Bescheids [...]) ist noch nicht abgelaufen. Denn der angegriffene Bescheid enthielt insoweit keine nach § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 und § 36 Abs. 3 Satz 2 und 3 AsylG vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung, weshalb dann eine Jahresfrist gilt [...].

27 2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. [...]

29 a) Hier fehlt es zunächst an einem Anordnungsanspruch hinsichtlich der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. [...]

35 b) Auch mit Blick auf die begehrte Abänderung der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG besteht kein Anordnungsanspruch. [...]

39 c) Die Abschiebungsandrohung vom 25. März 2015 ist voraussichtlich nicht unwirksam geworden.

40 Daran ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass der Antragsteller nach Erlass der im Bescheid des Bundesamtes vom 25. März 2015 (Az.: ...) enthaltenen Abschiebungsandrohung bezüglich dem Kosovo und der im ersten Asylfolgeantragsbescheid vom 30. März 2016 enthaltenen Androhung der Abschiebung in das Kosovo oder Serbien (Az.: ...) und der weiteren Asylfolgeantragsbescheide vom 23. November 2016 (Az.: ...) und vom 22. März 2017 (Az.: ...) am 6. Oktober 2017 in das Kosovo abgeschoben wurde und dort bis zu seiner wohl ... 2023 erfolgten Wiedereinreise nach Deutschland gelebt hat.

41 Die Unerheblichkeit der Abschiebung für den Bestand der früheren Abschiebungsandrohung ergibt sich für das nationale Recht bereits eindeutig aus der Regelung des § 71 Abs. 6 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 5 Satz 1 AsylG. Danach bedarf es auch dann, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte, zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und  Abschiebungsandrohung oder -anordnung, wenn der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag stellt, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt. Die vom Bundesamt nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist weder erledigt noch verbraucht (vgl. VGH Bad.-Württ., 17.11.2023 - 12 S 986/23 - juris Rn. 16).

42 Eine Ausreise oder Abschiebung in den Herkunftsstaat führt auch mit Blick auf die Rückführungsrichtlinie nicht zur Erledigung einer früheren Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung. Aus Unionsrecht ergibt sich nichts anderes (insoweit offenlassend VGH Bad.-Württ., 17.11.2023 - 12 S 986/23 - juris Rn. 22 ff.). Denn selbst wenn die frühere bestandskräftig gewordene Abschiebungsandrohung gegen die Rückführungsrichtlinie verstoßen würde und inzwischen rechtswidrig (geworden) wäre (so VG Leipzig, Beschluss vom 25.10.2023 - 4 L 345/23.A - juris Rn. 61 ff.), führte diese Rechtswidrigkeit nicht zur Nichtigkeit oder Unwirksamkeit dieses Verwaltungsakts, sondern nur dazu, dass insoweit die Abschiebungsandrohung nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG oder § 51 Abs. 5 und §§ 48 und 49 VwVfG aufgehoben werden könnte oder gegebenenfalls müsse [...]. Aus § 71 Abs. 6 und 5 AsylG ergibt sich, dass eine automatisch zur Unwirksamkeit führende Erledigung der Abschiebungsandrohung nach § 43 Abs. 2 VwVfG nicht eintreten soll. Die Regelungen über die Bestandskraft eines Verwaltungsakts fallen in die verfahrensrechtliche Autonomie der Mitgliedstaaten (vgl. Ludwigs, NVwZ 2018, 1417, 1420 f.; Suerbaum in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl., § 48 Rn. 25 ff.). Ob Erledigung eintritt, bestimmt sich daher nach dem nationalen Verwaltungsverfahrensrecht. [...]