Anspruch auf Aufenthaltsgestattung bei Asylantragstellung bei BAMF-Zentrale:
1. Gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG ist der Asylantrag (schriftlich) bei der Zentrale des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge [BAMF] in Nürnberg und nicht einer Außenstelle des BAMF zu stellen, wenn die antragstellende Person "einen Aufenthaltstitel von einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten" besitzt. Die antragstellende Person ist dann nicht gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 AsylG dazu verpflichtet, in einer Aufnahmeeinrichtung zu leben.
2. Die Regelung des § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG ist so auszulegen, dass die Person nicht über einen Aufenthaltstitel mit einer Geltungsdauer von mehr als sechs Monaten verfügen muss, sondern die Gesamtgeltungsdauer mehrerer Aufenthaltstitel zusammengerechnet werden kann. Dabei sind auch die Zeiten zu berücksichtigen, in denen ein Aufenthaltstitel aufgrund der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG als fortbestehend gilt.
3. Wird ein Asylantrag in einem solchen Fall bei der Zentrale des BAMF gestellt, ist die Ausländerbehörde - vorbehaltlich anderslautender landesrechtlicher Regelungen - für die Ausstellung der Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 AsylG zuständig. Denn gemäß § 63 Abs. 3 S. 1 AsylG ist das BAMF für die Ausstellung der Aufenthaltsgestattung nur so lange zuständig, wie die antragstellende Person in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen verpflichtet ist. Das ist gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 AsylG nicht der Fall, wenn der Asylantrag gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG bei der Zentrale des BAMF zu stellen ist (s.o. Leitsatz 1).
4. Örtlich zuständig für die Ausstellung der Aufenthaltsgestattung ist - sofern Landesrecht nichts anderes bestimmt - die Ausländerbehörde des gewöhnlichen Aufenthalts.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 06.05.2021 - 3 L 85/21 - gerichtsentscheidungen.brandenburg.de)
[…]
I. Die Antragsteller, die ausweislich der Eingangsbestätigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) vom 9. Juni 2023 am 7. Juni 2023 einen Asylantrag gestellt haben, haben nach der gebotenen und in diesem Verfahren einzig zulässigen summarischen Prüfung einen Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens durch die Antragsgegnerin.
Rechtlicher Anknüpfungspunkt sind die § 55 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 63 Abs. 1, Abs. 3 AsylG. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Ankunftsnachweises gemäß § 63a Absatz 1 gestattet (Aufenthaltsgestattung). In diesem Zusammenhang wird dem Ausländer nach der Asylantragstellung gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 AsylG innerhalb von drei Arbeitstagen eine mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehene Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung ausgestellt, wenn er nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels ist.
Diese Voraussetzungen sind – unbestritten – erfüllt. Die Antragsteller sind insbesondere nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels, da sie ihre Anträge auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse – welche die fiktive Geltung der bisherigen Aufenthaltstitel gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zur Folge hatten – mit Schriftsatz vom 2. Januar 2024 zurückgenommen haben.
Des Weiteren ist ebenfalls die Antragsgegnerin für die Ausstellung der begehrten Bescheinigung zuständig. Gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist das Bundesamt für die Ausstellung der Bescheinigung zuständig, solange der Ausländer verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
Das Bundesamt ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht nach § 63 Abs. 3 Satz 1 AsylG für die Ausstellung der Bescheinigung zuständig, da die Antragsteller nicht verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG sind Ausländer, die den Asylantrag bei einer Außenstelle des Bundesamtes zu stellen haben (§ 14 Abs. 1), verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung, längstens jedoch bis zu 18 Monate, bei minderjährigen Kindern und ihren Eltern oder anderen Sorgeberechtigten sowie ihren volljährigen, ledigen Geschwistern längstens jedoch bis zu sechs Monate, in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Gemäß § 14 Abs. Satz 1 AsylG ist der Asylantrag bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist.
Eine Pflicht zur Bewohnung der zuständigen Aufnahmeeinrichtung ist jedoch im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, da die Antragsteller ihren Asylantrag im Zeitpunkt der Antragstellung nicht bei einer Außenstelle des Bundesamtes im Sinne des § 14 Abs. 1 AsylG zu stellen hatten, sondern beim Bundesamt. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG ist der Asylantrag beim Bundesamt zu stellen, wenn der Ausländer einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten besitzt.
So liegt es hier. Die Antragsteller haben zunächst Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 2 AufenthG in Form nationaler Visa erhalten, welche in dem Zeitraum 24. Januar bis 23. April 2023 gültig waren. Auf entsprechenden Anträgen hin erteilte die Antragsgegnerin den Antragstellern nachfolgend Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für den Zeitraum 23. März bis zum 3. Mai 2023 sowie für den Zeitraum bis zum 3. August 2023 aus, sodass die Aufenthaltstitel bis zur Entscheidung über die Verlängerungsanträge nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend galten. Am 2. Juni 2023 erteilte die Antragsgegnerin den Antragstellern sodann befristete Aufenthaltstitel nach § 16f AufenthG sowie § 30 AufenthG für den Zeitraum 4. Mai 2023 bis 21. September 2023. Folglich besaßen die Antragsteller im Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags ununterbrochen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer – beinahe acht Monate – von mehr als sechs Monaten. Dies gilt unabhängig davon, ob in Übereinstimmung mit der Antragsgegnerin für den Beginn der Sechsmonatsfrist auf den Tag der Einreise (laut den Antragstellern am 27. Februar 2023 bzw. laut der Antragsgegnerin am 1. März 2023) abzustellen ist, da auch in diesem Falle die Fristenbedingung verwirklicht wäre.
Der Einwand der Antragsgegnerin, dass § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG allein einschlägig sei, wenn ein einzelner erteilter Aufenthaltstitel die Sechsmonatsgrenze überschritten hat, verfängt nicht. Denn eine solche Restriktion ist weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Norm vereinbar. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzustimmen, dass nach dem Wortlaut auf "einen Aufenthaltstitel" abzustellen ist. Demgegenüber indiziert das Abstellen auf die "Gesamtgeltungsdauer" – mithin nicht auf die "Geltungsdauer" –, dass nicht allein auf einen einzigen Aufenthaltstitel, sondern auf die "Gesamtheit" der Titel abzustellen ist, welche dem Ausländer einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik ermöglichen und ermöglicht haben. Die Ausnahmeregelung des § 14 Abs. 2 AsylG steht darüber hinaus in engem Zusammenhang mit der Frage der Verpflichtung eines Ausländers, gemäß § 47 Abs. 1 AsylG in einer Aufnahmeeinrichtung Wohnung zu nehmen. Denn Grundlage des (beschränkten) Verweises in § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf Fälle des § 14 Abs. 1 AsylG – und folglich nicht auf Fälle des § 14 Abs. 2 AsylG – ist die Erwägung, dass derjenige, der über ein längerfristiges Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen als die Durchführung des Asylverfahrens verfügt, nicht zum Leben in einer Aufnahmeeinrichtung und damit zur Aufgabe seiner Unterkunft gezwungen werden können soll [...]. Eine Reduzierung des Privilegierungstatbestands des § 14 Abs. 2 Nr. 1 AsylG auf Fälle, in denen ein einzelner Aufenthaltstitel die Sechsmonatsgrenze überschreitet, würde diese gesetzgeberische Intention jedoch offen konterkarieren. Infolgedessen ist der Anwendungsbereich der Privilegierungsnorm ebenfalls in solchen Fällen erfüllt, in denen bei Asylantragstellung der ursprüngliche Aufenthaltstitel aufgrund der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend gilt [...] oder in denen vor Ablauf der (fiktiven) Geltungsdauer dem Ausländer – wie hier – ein anderer Aufenthaltstitel gewährt und erst in dessen Folge die Grenze von sechs Monaten überschritten wird. [...]
Da die Zuständigkeitsnorm des § 63 Abs. 3 AsylG den hier vorliegenden Ausnahmefall folglich nicht umfasst, richtet sich die Zuständigkeit nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften [...].
2. Ferner ist die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall auch örtlich zuständig, da die Antragsteller ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Antragsgegnerin besitzen. Die örtliche Zuständigkeit ist nicht im AufenthG geregelt; es wird den Ländern jedoch in § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Befugnis eingeräumt, für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden für speziell zuständig zu erklären. Davon hat das Land Sachsen-Anhalt bisher noch keinen Gebrauch gemacht, sodass im Landesrecht auf die allgemeine Regelung über die örtliche Zuständigkeit einer Behörde in § 1 Abs. 1 VwVfG LSA i. V. m. § 3 Abs.1 Nr. 3 a VwVfG, mithin auf den gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen natürlichen Person abzustellen ist (OVG LSA, Beschluss vom 21. Februar 2006 – 2 M 217/05 – juris, Rn. 5 f.).
II. Schließlich können die Antragsteller einen erforderlichen Anordnungsgrund für sich geltend machen, da es ihnen nicht zuzumuten ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die begehrte Bescheinigung ist als behördliche Identitäts- und Statusbescheinigung Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Sozialleistungen oder den Abschluss privater Rechtsgeschäfte. [...].