Erfolgreiche Untätigkeitsklage einer Person aus dem Gaza-Streifen:
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Untätigkeitsklage besteht nicht nur dann, wenn noch keine Asylanhörung stattgefunden hat, sondern auch dann, wenn die Anhörung bereits durchgeführt wurde, aber noch kein Bescheid ergangen ist.
2. Im Gaza-Streifen besteht keine "vorübergehend ungewisse Lage" gemäß § 25 Abs. 4 S. 1 AsylG, wonach das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Entscheidung über einen Asylantrag aufschieben kann, wenn sie aufgrund der volatilen Lage im Herkunftsland vernünftigerweise nicht erwartet werden kann. Denn der offene Konflikt dauert bereits fünf Monate und fügt sich in eine immer wieder eskalierende, angespannte Lage ein, sodass bis auf Weiteres davon auszugehen ist, dass die Gefahren für Zivilpersonen fortbestehen. Selbst bei einem Abflauen der Kampfhandlungen wird die desaströse humanitäre und wirtschaftliche Lage fortbestehen.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: VG Sigmaringen, Urteil vom 07.03.2024 - A 5 K 1560/22 - asyl.net: M32253)
[...]
Entgegen der Auffassung der Beklagten geht das Gericht aber auch in der vorliegenden Konstellation, die kennzeichnet, dass das verwaltungsverfahrensrechtliche Asylverfahren vom Bundesamt vollständig durchgeführt wurde und insbesondere der Kläger zu seinen Asylgründen gehört wurde, von einem besonderen Rechtsschutzbedürfnis für die auf Bescheidung beschränkte Untätigkeitsklage aus. Ein berechtigtes Interesse an der Durchführung eines behördlichen Verfahrens liegt aufgrund der besonderen Ausgestaltung des Asylverfahrens regelmäßig vor, was unabhängig davon gilt, ob bereits - wie hier - eine Anhörung des Klägers nach § 25 AsylG stattgefunden hat [...]. Auch in dieser Konstellation besteht ein berechtigtes und schützenswertes Interesse des Klägers zunächst eine (Verwaltungs-)Entscheidung des Bundesamtes zu erhalten und diese dann - gegebenenfalls - einer gerichtlichen Kontrolle zuzuführen [...].
2. Die Untätigkeitsklage ist auch begründet.
Über den Asylantrag des Klägers wurde ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden. [...]
Nach diesen Grundsätzen besteht vorliegend kein zureichender Grund dafür, den Asylantrag des Klägers nicht zu bescheiden, zumal im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung seit Antragstellung bald 1 ¾ Jahr vergangen ist. Insoweit ist das Fristenregime des Art. 31 Abs. 3 bis 6 RL 2013/32/EU zu beachten, wonach die Prüfungsverfahren innerhalb von sechs Monaten nach förmlicher Antragstellung zum Abschluss gebracht werden sollen, diese Frist ausnahmsweise in begründeten Fällen um weitere neun Monate verlängert werden darf und die Verfahren in jedem Fall innerhalb von 21 Monaten abgeschlossen sein müssen (VG Aachen, Urt. v. 17.12.2021 - 5 K 1858/21.A -, juris, Rn. 53). Dieser Zeitraum ist nun nahezu abgeschritten. Die Beklagte hat nicht substantiiert Gründe für die Nichtbescheidung des Asylbegehrens des Klägers genannt. [...] Soweit der Klägerbevollmächtigte die "neue Konfliktlage in Gaza'' thematisiert, sieht das Gericht ebenfalls keine fehlende Spruchreife der Sache wegen der Volatilität der Lage im Gaza-Streifen. Auch die Regelung in § 24 Abs. 5 AsylG ändert daran nichts. Den verfügbaren Erkenntnismitteln und den Verlautbarungen der Konfliktparteien lässt sich entnehmen, dass die Kampfhandlungen mitnichten in absehbarer Zeit beendet würden. Der offene Konflikt dauert nunmehr bereits fünf Monate und fügt sich im Übrigen in eine seit Jahren immer wieder eskalationsanfällige angespannte Lage ein, die vielfach wiederholt zu Gewaltausbrüchen geführt hat. Prognostisch muss daher bis auf Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Gefahren für Zivilpersonen in beachtlicher Weise fortbestehen. Unabhängig davon ist unzweifelhaft, dass die desaströse humanitäre und wirtschaftliche Lage, für die derzeit wohl verantwortliche Akteure vorhanden sind, selbst bei einem Abflauen der offenen Kampfhandlungen von unabsehbarer Dauer und Härte bleiben wird (VG Sigmaringen, Urt. v. 07.03.2024 - A 5 K 1560/22 -, juris, Rn. 44 m.w.N.).
Nach alldem ist für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO kein Raum. Hiergegen sprechen der bereits eingetretene Zeitablauf und der Umstand, dass gar nicht erkennbar ist, dass die Beklagte die bereits vergangene Zeit zu konkreten Ermittlungen oder zur gezielten Förderung des Asylverfahrens des Klägers genutzt hätte. Soweit erkennbar führt die Beklagte auch derzeit keine konkreten Ermittlungen wegen des Asylantrages des Klägers durch, deren Ergebnis abgewartet werden müsste oder könnte (vgl. VG Berlin, Urt. v. 01.09.2021 - 35 K 112/21 A -, juris, Rn. 37). Zu konkreten Ermittlungen hat die Beklagte in ihrem Klageerwiderungsschriftsatz vom 30.01.2024 keine Angaben gemacht. [...]