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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 05.02.2024 - 1 AV 1.23 - asyl.net: M32250
https://www.asyl.net/rsdb/m32250
Leitsatz:

Verwaltungsgericht des Wohnorts auch bei länderübergreifender Verteilung zuständig:

1. Für einen Antrag auf länderübergreifende Verteilung gemäß § 51 Abs. 1 AsylG aus familiären Gründen oder humanitären Gründen von ähnlichem Gewicht sind gemäß § 51 Abs. 2 S. 2 AsylG die Behörden desjenigen Bundeslandes zuständig, in das die Umverteilung begehrt wird.

2. Für gerichtliche Streitigkeiten bezüglich eines solchen Antrags sind jedoch regelmäßig die Verwaltungsgerichte des Bundeslandes zuständig, in dem die die Verteilung begehrende Person ihren Wohnsitz hat. Denn die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bestimmt sich nach § 52 Nr. 2 S. 3 VwGO, wonach das Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk eine Person nach dem Asylgesetz ihren Aufenthalt zu nehmen hat. Dem steht nicht entgegen, dass das zuständige Verwaltungsgericht einem anderen Land angehört als die Behörde, die nach § 51 Abs. 2 S. 2 AsylG über den Antrag zu entscheiden hat.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Asylverfahren, länderübergreifende Umverteilung, Verteilungsverfahren, örtliche Zuständigkeit, Verwaltungsgericht, Zuständigkeit,
Normen: AsylG § 51 Abs. 1, AsylG § 51 Abs. 2 S. 2, VwGO § 52 Nr. 2 S. 3,
Auszüge:

[...]

2. Das Verwaltungsgericht Gießen ist für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO örtlich zuständig (a). [...]

a) Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Gießen folgt aus § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat. Nach dieser Sonderregelung kommt es in Asylsachen allein darauf an, wo sich der Asylsuchende aufzuhalten hat (§§ 44 ff. AsylG). Nicht entscheidend ist, wo der Asylsuchende sich tatsächlich aufhält oder aufhalten möchte. Der Wohnsitz des Asylsuchenden ist lediglich dann maßgeblich, wenn nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO eine örtliche Zuständigkeit nicht gegeben ist. Nur dann richtet sich die Zuständigkeit gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwGO nach § 52 Nr. 3 VwGO. Das ist für Fälle bejaht worden, in denen noch kein Zuweisungsbescheid ergangen oder ein ergangener Zuweisungsbescheid widerrufen oder zurückgenommen worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1997 - 9 AV 3.97 - juris Rn. 4). Eine derartige Konstellation ist nicht zu erkennen. Vielmehr war die eine länderübergreifende Umverteilung begehrende Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) verpflichtet, ihren Wohnsitz im Kreis M., mithin im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Gießen, zu nehmen.

b) Eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Arnsberg folgt nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht Gießen das Verfahren mit Beschluss vom 22. November 2023 an das Verwaltungsgericht Arnsberg verwiesen hat. Der Verweisungsbeschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, zwar grundsätzlich – selbst bei Fehlerhaftigkeit – bindend (§ 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Die Bindungswirkung entfällt jedoch bei extremen Rechtsverstößen [...].

So liegt es hier. Dem Verwaltungsgericht Arnsberg ist beizupflichten, dass die gesetzliche Zuständigkeitsregelung eindeutig ist. Bei der Interpretation einer Norm darf das gesetzgeberische Ziel nicht in wesentlichen Punkten verfehlt oder verfälscht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2014 - 1 BvR 2142/11 - BVerfGE 138, 64 Rn. 86 m. w. N.). Die von dem Verwaltungsgericht Gießen vorgenommene einschränkende Auslegung des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO geht hieran vorbei und ist daher offensichtlich unhaltbar. [...]

bb) Diesem Verständnis des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO stehen die verfassungsrechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts Gießen nicht entgegen. Das Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) verbietet es nicht grundsätzlich, dass das Verwaltungsgericht eines Landes über Maßnahmen einer Behörde entscheidet, die einem anderen Land angehört. [...] Die vom Verwaltungsgericht Gießen schließlich noch herangezogene Zuständigkeitsregelung in § 51 Abs. 2 Satz 2 AsylG betrifft, wie das Verwaltungsgericht Gießen selbst erkennt, allein die behördliche Zuständigkeit.

cc) Maßgeblich sind hier, wie sich aus dem angefochtenen Ablehnungsbescheid ergibt, Normen des Asylgesetzes, namentlich § 51 AsylG. Somit handelt es sich nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen um eine Streitigkeit im Sinne des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO [...]. Örtlich zuständig für die gerichtliche Entscheidung über das Umverteilungsbegehren ist allein das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk der Ausländer seinen Aufenthalt zu nehmen hat - hier das Verwaltungsgericht Gießen -, und nicht das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk der Ausländer umverteilt werden will. [...]