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VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 27.11.2023 - 12 B 4383/23 - asyl.net: M32216
https://www.asyl.net/rsdb/m32216
Leitsatz:

Politisches Betätigungsverbot wegen mangelnder Bestimmtheit rechtswidrig:

1. Gemäß § 47 Abs. 1 S. 2 AufenthG kann die politische Betätigung von Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit beschränkt oder untersagt werden.

2. Angesichts des durch ein Verbot der politischen Betätigung nach § 47 AufenthG bewirkten Eingriffs in die gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsfreiheit sowie des Umstands, dass Verstöße gegen das Verbot durch § 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG strafbewehrt sind, sind an die Bestimmtheit des Verbots hohe Anforderungen zu stellen. Es muss hinreichend deutlich werden, welche Tätigkeiten untersagt werden.

3. Ein Verbot "der Teilnahme an öffentlichen politischen Versammlungen und Aufzügen, politischen Reden und der Übernahme und Ausübung von Ämtern, die im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen der Republik Türkei und der Kurdischen Arbeiterpartei PKK und/oder einer mit dieser sympathisierenden bzw. dieser nahe stehenden Nachfolge-/Unterstützungsorganisationen steht“ genügt diesen Anforderungen nicht und ist deshalb rechtswidrig. 

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.01.2013 - 11 S 1581/12 (= Asylmagazin 4/2013, S. 135 ff.) - asyl.net: M20337)

Schlagwörter: politisches Betätigungsverbot, vereinsrechtliches Betätigungsverbot, Bestimmtheitsgebot, Bestimmtheitsgrundsatz, PKK,
Normen: AufenthG § 47 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 47 Abs. 1 S. 2,
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 47 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG. Danach kann die politische Betätigung eines Ausländers beschränkt oder untersagt werden, soweit sie die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland oder das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet.

Bei der im vorliegenden Verfahren allein gebotenen summarischen Prüfung bestehen gewichtige Zweifel, ob die Verfügung den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsakts genügt, § 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 37 Abs. 1 VwVfG.

Hinreichende Bestimmtheit ist dann anzunehmen, wenn sich der Regelungsinhalt im Wege der Auslegung bestimmen lässt, wobei auf den objektiven Erklärungsinhalt des Bescheides aus der Sicht der Adressatin oder des Adressaten abzustellen ist [...]. Der Wille der Behörde muss für die Adressatin oder den Adressaten unzweideutig erkennbar und keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich sein [...]. In Anbetracht des durch das Verbot der politischen Betätigung nach § 47 AufenthG bewirkten Eingriffs in Grundrechte der betroffenen Person - wie insbesondere die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsfreiheit - und der Strafbewehrung von Verstößen durch § 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind an dessen Bestimmtheit hohe Anforderungen zu stellen [...]. Auch wenn die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zulässig sein kann und bei einem Verbot der politischen Betätigung kaum vermeidbar ist, muss trotzdem hinreichend deutlich werden, welche Tätigkeiten untersagt werden [...].

Diesen hohen Anforderungen an die Bestimmtheit wird Ziffer 1) des Bescheides vom … 2023 voraussichtlich nicht gerecht.

Mit dieser Regelung untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller "die folgende politische Betätigung in Form von

- der Teilnahme an öffentlichen politischen Versammlungen und Aufzügen,

- politischen Reden und

- der Übernahme und Ausübung von Ämtern,

die im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen der Republik Türkei und der kurdischen Arbeiterpartei PKK und/oder einer mit dieser sympathisierenden bzw. dieser nahe stehenden Nachfolge-/Unterstützungsorganisationen steht".

Die Kammer verkennt nicht, dass die Formulierung einer hinreichend bestimmten Regelung i.S.d. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthG angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Arten der in Betracht kommenden Aktivitäten und Organisationen besonders anspruchsvoll ist. Dies gilt umso mehr, als etwaige PKK-Teil- oder Nachfolgeorganisationen vielfach (auch) im Verborgenen agieren und die Strukturen mitunter schwer zu erfassen sind. Der Antragsgegnerin ist grundsätzlich überdies darin zuzustimmen, dass der Antragsteller infolge seines - nach Aktenlage - langjährigen Engagements innerhalb diverser Organisationen mit diesen vertraut ist.

Allerdings ist der objektive Erklärungsinhalt der Regelung in Ziffer 1) des Bescheides vom … 2023 - auch unter Berücksichtigung der Begründung des Bescheides und den Ausführungen in der Antragserwiderung vom … 2023 - zu unbestimmt. Es ist nicht hinreichend erkennbar, was von dem Antragsteller gefordert wird und vor allem, wo die Grenzen zwischen erlaubtem und untersagtem Verhalten verlaufen. Diese Regelung kann angesichts dessen auch keine geeignete Grundlage für Maßnahmen zur zwangsweisen Durchsetzung bilden, da die für die Vollstreckung zuständigen Personen den Regelungsgehalt des Verbotes nicht sicher bestimmen können. Im Einzelnen:

1. Es bleibt bereits unklar, was unter dem Begriff einer "politischen Betätigung […], die im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen der Republik Türkei und der kurdischen Arbeiterpartei PKK steht", zu verstehen ist.

Zwar bemerkt die Antragsgegnerin in der Antragserwiderung zu Recht, dass der Antragsteller durchaus zwischen einer Trauer- bzw. Verlobungsfeier und einer "öffentlichen politischen Versammlung" im Sinne des Bescheides wird unterscheiden können. Allerdings ist die Formulierung der Ziffer 1) des Bescheides vom … 2023 derart weitreichend, dass sie nicht geeignet ist, eine zulässige Betätigung im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 1 AufenthG von einer unzulässigen nach Satz 2 abzugrenzen. Legt man den Tenor ausschließlich anhand des Wortlautes aus, so wäre es dem Antragsteller sogar verboten, sich kritisch bzw. ablehnend im Hinblick auf die PKK zu äußern, wobei aus der Begründung des Bescheides sowie aus dem Zweck der Regelung deutlich wird, dass dies (natürlich) nicht gemeint ist. Jedoch ist die Wendung "Konflikt zwischen der Republik Türkei und der kurdischen Arbeiterpartei PKK" so weit gefasst, dass jedenfalls unklar bleibt, ob etwa auch eine Rede zu der allgemeinpolitischen Lage der Kurden in der Türkei untersagt ist. Denn der Begriff "Konflikt" umfasst nicht allein einen solchen, der mit Gewalt ausgetragen wird, sondern auch denjenigen um eine eigene Sprache oder die politische Autonomie kurdisch besiedelter Gebiete.

Eine zwangsweise Durchsetzung der Regelung in Ziffer 1 des Bescheides vom … 2023 ist für die mit der Vollstreckung befassten Behörden bereits vor diesem Hintergrund kaum vorstellbar. Die Formulierung führt zu erheblichen Unsicherheiten bei der Auslegung des Regelungsinhalts, die auch durch die Begründung des Bescheides nicht ausreichend abgemildert werden.

2. Ebenfalls zu unbestimmt ist die Regelung, soweit sie auf "Nachfolge- und Unterstützungsorganisationen" der PKK abstellt.

Zwar hat die Antragsgegnerin in dem Bescheid beispielhaft etwa das Demokratisch-Kurdische Gesellschaftszentrum in ..., den Civata Demokratik Kurdistan, den FED-DEM und in der Antragserwiderung Vereine, die im Dachverband KON-MED organisiert sind, bzw. KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK benannt. Dass diese Aufzählung allerdings abschließend sein soll, ergibt sich gerade nicht aus dem Bescheid. Es bleibt aber auch offen, anhand welcher Merkmale "Nachfolge- und Unterstützungsorganisationen" der PKK zu bestimmen sind (etwa: personelle Zusammensetzung der Vereinigung, ihre Geschichte, ihr Selbstverständnis, ihre Ziele, ihre Tätigkeit und Finanzierung, Weisungsgegebenheiten).

Aus Sicht der Kammer wird insbesondere nicht deutlich, was unter dem Begriff "Unterstützungsorganisation" zu verstehen ist. Die Unbestimmtheit wird durch den Zusatz "sympathisierend" bzw. "nahestehend" weiter verstärkt. Insbesondere der Begriff "sympathisierend" ist derart weitreichend, dass eine klare Abgrenzung kaum möglich ist. Eine solche Formulierung könnte ohne weitere Einschränkung etwa auch politische Parteien erfassen, die eine Aufhebung des Verbotes des PKK in Deutschland seit langer Zeit fordern (vgl. beispielhaft: www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/druck-auf-einen-richtungswechsel-pkk-verbot-aufheben/, abgerufen am 27. November 2023). Zu Recht weist der Antragsteller darauf hin, dass für ihn beispielsweise unklar gewesen sei, ob er angesichts dieser Regelung das Kurdische Kulturfestival am ... in … hätte besuchen können. [...]