VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2024 - A 12 K 3311/23 - asyl.net: M32170
https://www.asyl.net/rsdb/m32170
Leitsatz:

Aufhebung eines Dublin-Bescheides bezüglich Rumäniens für psychisch erkrankte Frau:

Einer jungen, alleinstehenden und psychisch erkrankten Frau droht nach Überstellung nach Rumänien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit und Verelendung entgegen Art. 3 EMRK, sodass gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO Deutschland für die Prüfung ihres Asylantrags zuständig ist.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: VG Braunschweig, Urteil vom 22.03.2022 - 6 A 321/21 - asyl.net: M30525)

Schlagwörter: Rumänien, Dublinverfahren, besonders schutzbedürftig, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, systemische Mängel, psychische Erkrankung, alleinstehende Frauen,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 34a Abs. 1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Die Beklagte hat den Asylantrag der Klägerin mit Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides zu Unrecht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt. [...]

Die Beklagte hat den Asylantrag der Klägerin mit Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides zu Unrecht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt. [...]

Die Bundesrepublik Deutschland ist jedoch nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig geworden. [...]

Nach diesen Maßstäben durfte der Asylantrag der Klägerin nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt werden, weil ihr zur Überzeugung des Gerichts für den Fall ihrer Rückkehr nach Rumänien die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK droht. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin unter Berücksichtigung der Umstände ihres persönlichen Einzelfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in Rumänien in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und ihre elementarsten Bedürfnisse, insbesondere eine menschenwürdige Unterkunft zu finden, für einen längeren Zeitraum nicht wird befriedigen können.

Zwar fehlt es - auch unter Berücksichtigung der Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen durch Rumänien - an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Rumänien für junge und gesunde Männer mit systemischen Mängeln behaftet wären, die eine beachtliche Gefahr einer der Antragstellerin drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss nach sich ziehen könnten [...].

Auch droht der Klägerin nicht die Gefahr, aufgrund der Einstellung ihres Asylverfahrens als Folgeantragstellerin behandelt und damit von staatlichen Leistungen ausgeschlossen zu werden. [...]

Bei der Klägerin handelt es sich jedoch um eine alleinstehende junge Frau, die nach dem von ihr in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgelegten Attests vom … 2023 psychisch krank ist und Medikamente benötigt. Sie gehört daher zu den besonders schutzbedürftigen Personen nach Art. 21 ff. der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (EU-Aufnahmerichtlinie) bzw. zum besonders vulnerablen Personenkreis im Sinne der "Tarakhel"-Rechtsprechung des EGMR. Vorliegend besteht auch keine individuelle Zusicherung der rumänischen Behörden bezüglich einer Unterkunft und angemessener Aufnahmebedingungen im Falle der Überstellung der Klägerin. Damit ist es zur Überzeugung des entscheidenden Gerichts wahrscheinlich, dass sich das Risiko von Obdachlosigkeit und Verelendung bei einer Abschiebung der Klägerin nach Rumänien zu ihren Lasten realisieren würde. [...]