VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 09.01.2024 - 3 V 2955/23 - asyl.net: M32164
https://www.asyl.net/rsdb/m32164
Leitsatz:

Nach Dublin-Überstellung und Wiedereinreise gestellter Asylantrag muss beschieden werden:

1. Wird der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung gemäß § 34a AsylG in einen Dublin-Zielstaat angeordnet und wird die Person der Abschiebungsanordnung entsprechend abgeschoben und reist anschließend wieder nach Deutschland ein und stellt einen erneuten Asylantrag, muss über diesen entschieden werden, bevor eine erneute Abschiebungsanordnung ergehen kann. Ebenso muss gemäß § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG grundsätzlich über das Bestehen von Abschiebungsverboten entschieden werden.

2. Das gilt auch dann, wenn hinsichtlich des ersten Asylantrags und dessen Ablehnung als unzulässig noch ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht anhängig ist.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: EuGH, Urteil vom 25.01.2018 - C-360/16 Deutschland gg. Hasan - Asylmagazin 4/2018, S. 133 ff. - asyl.net: M25901)

Schlagwörter: Asylverfahrensrecht, Beurteilungszeitpunkt, Unzulässigkeit, Wiedereinreise, Überstellung, Abschiebungsanordnung, Klageverfahren,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 34a Abs. 1, VO 604/2013 Art. 26 Abs. 1, AsylG § 31 Abs. 3 S. 1, AsylG § 31 Abs. 3 S. 3, AufenthG § 60 Abs. 5, AsylG § 77 Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 33,
Auszüge:

[...]

Es bestehen nach summarischer Prüfung Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit der in Ziffer 1 des Bescheides vom 04.12.2023 erlassenen Abschiebungsanordnung. [...]

a. Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Eine Abschiebung kann durchgeführt werden, wenn sie tatsächlich möglich und rechtlich zulässig ist. Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, erscheint zweifelhaft. [...]

b. Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt jedoch lediglich die Abschiebung des Antragstellers nach Polen angeordnet und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate befristet. Das Bundesamt hat im Tenor des Bescheides vom 04.12.2023 gerade nicht über den vom Antragsteller nach seiner Wiedereinreise gestellten Asylantrag sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten hinsichtlich Polens entschieden. Eine konkludente Bescheidung des Asylantrags vom 09.10.2023 kann auch nicht unter Berücksichtigung der Begründung des Bescheides vom 04.12.2023 angenommen werden. [...]

Eine Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylG dürfte jedoch nur zulässig sein, wenn über einen zuvor gestellten Antrag auf internationalen Schutz auch entschieden wurde. Im Falle der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens ist der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG als unzulässig abzulehnen. Dieses Erfordernis ergibt sich zunächst aus Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO. Dieser regelt, dass im Falle der Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats zur Aufnahme oder Wiederaufnahme eines Antragstellers der ersuchende Mitgliedstaat die betreffende Person von der Entscheidung, sie in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, sowie gegebenenfalls von der Entscheidung, ihren Antrag auf internationalen Schutz nicht zu prüfen, in Kenntnis setzt. Dem lässt sich entnehmen, dass, sofern ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, der ersuchende Mitgliedstaat eine Entscheidung darüber zu treffen hat, diesen nicht zu prüfen. Dies wird bestätigt durch Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU (sog. Asylverfahrensrichtlinie). Absatz 1 der Vorschrift nimmt explizit auf Asylanträge, für die nach der Dublin III-VO ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, Bezug und sieht diesen Fall als eine Konstellation an, in der ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen ist (vgl. zum Vorstehenden VG Stuttgart, B. v. 18.07.2018 – A 6 K 4361/18 –, juris Rn. 19). Auch der Europäische Gerichtshof geht in seiner Entscheidung vom 25.01.2018 davon aus, dass der sich für unzuständig haltende Mitgliedstaat im Fall einer fristgerechten Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zunächst gemäß Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO ablehnen muss, bevor eine Überstellung vorgenommen werden kann (vgl. EuGH, Urt. v. 25.01.2018 – C-360/16 –, juris Rn. 49).

Zwar nennt § 34a Abs. 1 AsylG nicht explizit als Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsanordnung, dass ein zuvor gestellter Asylantrag als unzulässig abgelehnt werden muss. Die Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrages bildet jedoch vollstreckungsrechtlich betrachtet den Grundverwaltungsakt für die Abschiebungsanordnung als unmittelbare Festsetzung des Zwangsmittels zur Aufenthaltsbeendigung (vgl. BeckOK AuslR/Pietzsch, 39. Ed. 01.01.2023, AsylG § 34a Rn. 26). Hinzu kommt, dass im Falle der Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig, das Bundesamt gem. § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG grundsätzlich auch ausdrücklich festzustellen hat, ob nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen. Eine derartige Feststellungsentscheidung ist hier ebenfalls unterblieben. Zwar kann von der Feststellung seit Erlass des Gesetzes zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren (v. 21.12.2022, BGBl. I S. 2817) nach § 31 Abs. 3 Satz 3 AsylG auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Eine solche Ermessensentscheidung hat die Beklagte vorliegend aber gerade nicht getroffen. Sie ging vielmehr davon aus, dass eine erneute Bescheidung des Asylantrages sowie die Entscheidung darüber, ob Abschiebungsverbote vorliegen, hier unzulässig wären.

Eine Entscheidung über den nach seiner Wiedereinreise gestellten Asylantrag des Antragstellers dürfte vorliegend auch nicht deshalb ausgeschlossen sein, weil zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses bezüglich seines ersten, vor seiner Überstellung nach Polen gestellten, Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland noch ein Gerichtsverfahren anhängig war. Die Antragsgegnerin lehnt im Bescheid vom 04.12.2023 unter Verweis auf § 77 Abs. 1 AsylG die Prüfung eines neuen Asylantrags mit der Begründung ab, dass es dem Antragsteller unbenommen bleibe, im Rahmen des noch anhängigen Klageverfahrens Einwände gegen die Unzulässigkeitsentscheidung sowie die Feststellung des Fehlens von Abschiebungshindernissen darzulegen. Dem kann nicht gefolgt werden. Eine nachträglich eingetretene Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung kann gerade nicht in einem noch anhängigen Klageverfahren gegen einen ersten Dublin-Bescheid geltend gemacht werden. Denn abweichend von § 77 Abs. 1 AsylG ist für die rechtliche Bewertung des ersten Bescheides auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Überstellung abzustellen (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 26.05.2020 – 22 K 12322/17.A –, juris Rn. 58 ff., VG Gelsenkirchen, Urt. v. 26.02.2019 – 1a K 179/17.A – BeckRS 2019, 3581 Rn. 33 ff.). Durch das neue Wiederaufnahmeverfahren nach illegaler Wiedereinreise wird der Prüfungsrahmen einer gegen einen ersten Dublin-Bescheid noch anhängigen Klage in Bezug auf die Frage der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Entscheidung über die Zulässigkeit des Asylantrages und die Feststellung von Abschiebungsverboten in zeitlicher Hinsicht begrenzt (vgl. Barden in: Heusch/Haderlein/Fleuß/Barden, Asylrecht in der Praxis, 2. Auflage 2021, C. Unzulässige Asylanträge nach § 29 AsylG, Rn. 486).

Darüber hinaus findet sich weder in der Dublin III-VO, in der Asylverfahrensrichtlinie noch im AsylG eine Regelung, die die Stellung eines erneuten Asylantrags ausschließt, wenn bezüglich eines ersten Asylantrags noch keine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist (vgl. VG Stuttgart, B. v. 18.07.2018 – A 6 K 4361/18 –, juris Rn. 21). In diese Richtung tendiert auch der EuGH, der in seinem Urteil vom 25.01.2018 (C-360/16, juris Rn. 50, 84) zur Konstellation der Rückkehr nach einer Dublin-Überstellung zum Ausdruck bringt, dass er das Verwaltungsverfahren bezüglich eines Antrags auf internationalen Schutz in dem die Überstellung durchführenden Staat bereits dann als abgeschlossen ansieht, wenn einem Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über einen solchen Antrag keine aufschiebende Wirkung zukommt. Jedenfalls in dieser Konstellation dürfte daher die Stellung eines weiteren Asylantrags nicht ausgeschlossen sein. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu, da das erkennende Gericht über den Eilantrag des Antragstellers bezüglich seines ersten Asylantrags in Deutschland bereits mit Beschluss vom 02.03.2023 negativ entschieden hat und der Antragsteller daraufhin nach Polen überstellt worden ist. [...]