VG Greifswald

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Zitieren als:
VG Greifswald, Urteil vom 02.10.2023 - 6 A 1010/23 HGW - asyl.net: M32121
https://www.asyl.net/rsdb/m32121
Leitsatz:

Einstellung mangels Belehrung in verständlicher Sprache rechtswidrig:

1. Wird eine schutzsuchende Person nicht gemäß § 33 Abs. 4 AsylG in einer ihr verständlichen Sprache (hier: Thai) darüber belehrt, dass das BAMF das Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 AsylG bei Nichtbetreiben einstellen oder nach inhaltlicher Prüfung über den Antrag entscheiden kann, ist ein Einstellungsbescheid rechtswidrig.

2. Unerheblich ist dabei, ob die Person in dem Verfahren anwaltlich vertreten ist und ob die Belehrung an die anwaltliche Vertretung übersandt wurde.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: VG Düsseldorf, Urteil vom 04.12.2023 - 14 K 2553/23.A - asyl.net: M32083)

Schlagwörter: Einstellung, Asylverfahren, Belehrung, Rechtsanwalt, Zustellung, Nichtbetreiben des Verfahrens,
Normen: AsylG § 33 Abs. 4, AsylG § 33 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 20. Juni 2023 ist zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.  [...]

2. Die Klage ist begründet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Einstellung des Asylverfahrens nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG liegen nicht vor. Nach dieser Norm stellt das Bundesamt das Asylverfahren ein oder lehnt den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ab, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. [...]

Der mit dem Eintritt der Rechtsfolgen in § 33 AsylG verbundene Nachteil ist im Hinblick auf das Prinzip eines fairen Verfahrens nur dann unbedenklich, wenn dem Betroffenen durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen treffen und welche Folgen bei der Nichtbeachtung entstehen können. [...]

a. Diesen Maßstäben wird die Belehrung in dem Schreiben des Bundesamtes vom 29. März 2023 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht gerecht. In diesem Schreiben in deutscher - und damit in einer dem Kläger nicht geläufigen - Sprache wird ausdrücklich auf die Rechtsfolge des Nichterscheinens zum Termin der Anhörung hingewiesen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger der deutschen Sprache in einer Weise mächtig ist, der es ihm erlaubt, den Sinn des Schreibens und die rechtliche Tragweite eines Nichterscheinens zum Anhörungstermin zu erfassen, bestehen nicht. Insbesondere ergeben sich solche auch nicht aus den Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes. Dort stand dem Kläger bei den Anhörungen stets ein Dolmetscher für die Sprache Thailändisch zur Verfügung.

Aus dem Umstand, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt anwaltlich vertreten und die Ladung zur Anhörung nach § 25 AsylG an die Prozessbevollmächtigten des Klägers adressiert war, ergibt sich nichts Anderes. Das Bundesamt darf zwar, wenn der Asylbewerber einen Bevollmächtigten benannt hat, an diesen Bekanntgaben und Zustellungen vornehmen (Preisner in: BeckOK Ausländerrecht, 37. Ed. 1.4.2023, § 10 AsylG Rn. 24). Wenn das Bundesamt im Falle einer Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG so verfährt, wird es aber lediglich davon frei, den Zugang der Belehrung beim Ausländer selbst mittels einer Empfangsbestätigung nachweisen zu müssen. Der Zugang beim Ausländer wird dann schon dadurch bewirkt, dass die schriftliche Belehrung bei seinem Empfangsbevollmächtigten eingeht. Umfang und Inhalt der notwendigen Belehrung ändern sich dadurch aber nicht. Das Bundesamt muss den Ausländer in derselben Weise belehren, als wenn die Belehrung persönlich gegen Empfangsbestätigung erfolgt wäre. Dies kann dadurch geschehen, dass dem Bevollmächtigten das Hinweisschreiben für den von ihm vertretenen Ausländer in einer dem Ausländer geläufigen und verständlichen Sprache übersandt wird (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 18. Mai 2020 - 4 LB 7/17 -, juris Rn. 22ff.; a.A. wohl VGH München, Beschluss vom 24. April 2018 - 6 ZB 17.31593 -, juris Rn. 5). [...]