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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 03.11.2023 - - asyl.net: M32112
https://www.asyl.net/rsdb/m32112
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz für eine Transfrau aus dem Kosovo:

Einer Transperson, die wegen ihrer geschlechtlichen Identität immer wieder auch sexualisierte Gewalt im Kosovo erlitten hat, droht bei einer Rückkehr ein ernsthafter Schaden, sodass ihr der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist.

(Leitsätze der Redaktion)

 

Schlagwörter: Kosovo, transsexuell, geschlechtsspezifische Verfolgung, sexualisierte Gewalt, sexuelle Gewalt, Geschlechtsidentität,
Normen: AsylG § 4 Abs. 1, AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin trug im Rahmen ihrer Anhörungen im Wesentlichen vor, bereits als Kind sich nicht als Junge, sondern als ein Mädchen gefühlt zu haben. Sie habe Frauenkleidung getragen und sei aus diesem Grund immer wieder von ihrem Vater, ihren Geschwistern und ihren Verwandten, welche ausdrücklich die Zustimmung von dem Vater der Antragstellerin dafür erhalten hätten, geschlagen worden.

Sie habe mehrfach Vergewaltigungen erleben müssen, die sie aus Angst vor ihrer Familie und einer Blutfehde nicht erzählt und nicht angezeigt habe. Darüber hinaus sei sie überzeugt davon, dass die Polizei ihr nicht geholfen, sondern sie aufgrund der Tradition selbst verurteilt hätte. Sie habe hauptsächlich Frauenkleidung getragen, sei aufgrund der Gewaltattacken aber gezwungen gewesen, auch Herrenkleidung zu tragen. [...]

Die Antragstellerin habe auf offener Straße Gewaltattacken erlebt und wünsche sich in Deutschland ein normales Leben.

Im Falle einer Rückkehr in den Kosovo sei ihr Leben in Gefahr. Zudem könne ihre Freundin sie nicht mehr aufnehmen, so dass sie dort weder ein Zuhause noch Verpflegung habe. Seit dem Tod des Vaters habe sie keinen Kontakt mehr zu den Geschwistern. [...]

1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus liegen vor. [...]

Aufgrund des ermittelten Sachverhaltes ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht.

2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte liegen nicht vor. [...]

Die reine Tatsache, dass es sich bei der Antragstellerin um eine Transfrau handelt, begründet keinen Flüchtlingsschutz.

LGBTIQ-Rechte sind in der eher traditionell-konservativen kosovarischen Gesellschaft insbesondere außerhalb der Hauptstadt ein Tabutbema. Personen, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen, müssen damit rechnen, sozial ausgegrenzt zu werden. Oftmals werden sie von der eigenen Familie verstoßen. Menschenrechtsorganisationen berichten über Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie beim Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Es kann im Einzelfall zu physischen Übergriffen durch Dritte, auch gegenüber nicht-homosexuellen Unterstützungspersonen kommen. Hassreden im Internet gegen LGBTIQ-Aktivistinnen und -Aktivisten sind verbreitet.

Der gesetzliche Schutz von LGBTIQ-Personen ist jedoch über die Jahre verbessert worden. Im Jahr 2019 wurde durch die Aufnahme von "Taten aus Hass" in die Liste strafverschärfender Umstände im Strafgesetzbuch eine eindeutige Schutznorm geschaffen. Beklagt wird aber, dass es nicht immer zu einer ausreichenden polizeilichen Verfolgung kommt, gerade auch bei Drohungen im Internet. Die Regierung hat ein "awareness-raising-training" u. a. für Staatsbedienstete (Polizeikräfte, Lehrende) durchgeführt. Wie in den Vorjahren nahmen auch 2022 hochrangige Politikerinnen und Politiker an der "Pride Parade" teil, die ohne Zwischenfälle stattfand. Die Gemeinde Pristina hat eine Beratungsstelle für gefährdete LGBTIQ-Personen eingerichtet. Staatliche Kampagnen zielen darauf ab, die öffentliche Meinung zu LGBTIQ im Sinne von mehr Toleranz zu verändern.

Ferner kann vorliegend auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer Transidentität den geschilderten Verfolgungshandlungen ausgesetzt war.

Damit ist mangels Vorliegens eines Verfolgungsgrundes die Flüchtlingseigenschaft abzulehnen. Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art 18a Abs. 1 Grundgesetz (GG) und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der Schutzbereich des § 3 AsylG weiter gefasst ist. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte liegen somit nach Ablehnung des Flüchtlingsschutzes ebenfalls nicht vor. [...]