Erkenntnismittel sind einzeln bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens zu machen:
"Der Verweis auf ecoi.net in der Ladung zur mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Asylverfahren genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Einführung von Erkenntnismitteln."
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
Das Tatsachengericht darf einen auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer amtlichen Auskunft gerichteten Beweisantrag insbesondere in asylgerichtlichen Verfahren, in denen regelmäßig eine Vielzahl amtlicher Auskünfte und sachverständiger Stellungnahmen über die politischen Verhältnisse im Heimatstaat zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden, im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen und die Gefährdungsprognose im Einzelfall auf der Grundlage einer tatrichterlichen Beweiswürdigung eigenständig vornehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.9.2019 – 1 B 43.19 – juris Rn. 45 [...]). Schöpft das Gericht seine besondere Sachkunde aus vorhandenen Gutachten und amtlichen Auskünften, so muss der Verweis hierauf dem Einwand der Beteiligten standhalten, dass in diesen Erkenntnisquellen keine, ungenügende oder widersprüchliche Aussagen zur Bewertung der aufgeworfenen Tatsachenfragen enthalten sind. [...]
Hiervon ausgehend hat der Kläger nicht hinreichend dargetan, dass die von dem Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Auskünfte ungenügend, unergiebig oder widersprüchlich wären oder dass Auskünfte fehlten, so dass es aus den vorhandenen Auskünften keine eigene Sachkunde hätte schöpfen können. [...]
Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, sein Urteil nur auf solche Tatsachen und Beweismittel zu stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Hieraus folgt im gerichtlichen Asylverfahren grundsätzlich die Pflicht des Gerichts, die Erkenntnismittel, auf die es seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt, in einer Weise zu bezeichnen und in das Verfahren einzuführen, die es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht, diese zur Kenntnis zu nehmen und sich zu ihnen zu äußern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.6.1985 – 2 BvR 414/84 – juris Rn. 27). Lediglich auf offenkundige Tatsachen, die allen Beteiligten gegenwärtig sind und von denen sie wissen, dass sie für die Entscheidung erheblich sein können, darf die Entscheidung auch ohne ausdrücklichen Hinweis gestützt werden. Für eine Einführung in das Verfahren reicht es dabei grundsätzlich aus, dass das Gericht den Beteiligten eine Liste der betreffenden Erkenntnismittel übersendet [...]. Darüber hinaus ist es zulässig, Erkenntnismittel in der Weise in das gerichtliche Verfahren einzuführen, dass die vom Gericht geführte Erkenntnismittelliste auf einer allgemein zugänglichen, den Beteiligten bekannten Internetseite veröffentlicht wird und denjenigen, die nicht über einen Internetzugang verfügen bzw. diesen nicht nutzen wollen, die Liste auf Anforderung gesondert zugeleitet und gleichzeitig angegeben wird, dass und wie die darin aufgeführten Erkenntnismittel beim Gericht eingesehen werden können [...].
Diesen Vorgaben genügte die vom Verwaltungsgericht vor der Ladung übersandte Mitteilung von Erkenntnismitteln allerdings nicht.
Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger vor der mündlichen Verhandlung keine Erkenntnismittelliste übersandt. Es hat in der Ladung nur darauf hingewiesen, dass es die Lageberichte des Auswärtigen Amtes (aktuell vom 22.1.2021 – Übersendung auf Anfrage) und die Erkenntnismittel des Europäischen Herkunftsländersystems (ecoi.net) auswerten werde. Diese Erkenntnismittel würden zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht, insbesondere die EASO-Leitlinien zum Irak (aktuell vom Januar 2021, englisch). Ebenso werde auf die REAG/GARP-Rückkehrhilfen hingewiesen, www.returningfromgermany.de/de/programmes/reag-garp/. [...]
Der Verweis auf ecoi.net genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Einführung von Erkenntnismitteln. Die Erkenntnismittel sind „im Einzelnen bezeichnet“ zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, damit sich die Beteiligten dazu äußern können (Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand: Dezember 2022, § 78 Rn. 334). Dem pauschalen Hinweis des Verwaltungsgerichts auf ecoi.net ist nicht zu entnehmen, um welche Erkenntnismittel es sich im Einzelnen handelt. Zudem ist unklar, auf welchen Zeitpunkt der auf ecoi.net veröffentlichen Erkenntnismittel das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung abstellen wollte (vgl. auch NdsOVG, Beschluss vom 9.3.2022 – 11 LA 142/21 – n. v.).
Allerdings führt die unterbliebene Einführung von entscheidungserheblichen Erkenntnismitteln nicht automatisch zur Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensfehlers i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO. Denn die Verletzung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die angegriffene Entscheidung auf dem Fehlen des rechtlichen Gehörs beruht. [...]
An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. [...]