VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 04.12.2023 - 14 K 2553/23.A - asyl.net: M32083
https://www.asyl.net/rsdb/m32083
Leitsatz:

Einstellungsbescheid wegen mangelhafter Belehrung und mangelhafter Zustellung der Belehrung rechtswidrig:

1. Eine Einstellung des Asylverfahrens oder eine Entscheidung nach inhaltlicher Prüfung gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 AsylG wegen Nichtbetreibens des Verfahrens scheidet aus, wenn die betroffene Person nicht gemäß § 33 Abs. 4 AsylG schriftlich und gegen Empfangsbestätigung über die möglichen Rechtsfolgen des Nichtbetreibens belehrt worden ist.

2. Entspricht eine schriftlich und gegen Empfangsbestätigung übersandte Belehrung zu § 33 AsylG nicht der zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Gesetzesänderung, wonach das BAMF im Fall des Nichtbetreibens die Wahl hat, das Verfahren einzustellen oder in der Sache zu entscheiden, ist die Belehrung fehlerhaft und eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 1 AsylG rechtswidrig.

3. Die Einstellung des Verfahrens ist auch dann rechtswidrig, wenn die Belehrung gemäß § 33 Abs. 4 AsylG zwar inhaltlich richtig ist, aber die Zustellung nicht gegen Empfangsbestätigung erfolgt ist. Zweck des Erfordernisses der Zustellung gegen Empfangsbestätigung ist es, eine persönliche Aushändigung sicherzustellen. Die Bestätigung, dass die Belehrung entgegengenommen worden ist, muss dokumentiert werden, um der Warn- und Hinweisfunktion des § 33 Abs. 4 AsylG und den weitreichenden Folgen des Nichtbetreibens Rechnung zu tragen.

4. Nicht ausreichend ist es, eine Belehrung gemäß § 33 Abs. 4 AsylG per Einschreiben zu übersenden. Ein solcher Zustellungsmangel ist auch nicht gemäß § 8 VwZG heilbar.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.12.2018 - 9a L 2231/18.A - openjur.de)

Schlagwörter: Nichtbetreiben des Verfahrens, Belehrung, Einstellung, Zustellungsmangel, Zustellung, Heilung,
Normen: AsylG § 33 Abs. 1 S. 1, AsylG § 33 Abs. 4, VwZG § 8,
Auszüge:

[...]

In den beiden zuletzt an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerichteten Ladungsschreiben vom .. Januar 2023 sowie .. Februar 2023 heißt es unter anderem:

"Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass das Bundesamt das Asylverfahren nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG einstellt oder den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ablehnt, wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn Sie spätestens innerhalb eines Monats nach Zustellung der Einstellungs- oder Ablehnungsentscheidung nach § 33 Abs. 1 AsylG nachweisen, dass Ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die Sie keinen Einfluss hatten. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müssen Sie die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn Sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet sind, müssen Sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen."

Den Termin am .. März 2023 nahm die Klägerin bzw. ihre Mutter ohne vorherige oder nachträgliche Angabe von Gründen nicht wahr.

Mit Bescheid vom .. März 2022, zugestellt am .. März 2022, stellte das Bundesamt das Asylverfahren ein (Ziff. 1). [...] Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Klägerin das Verfahren nicht betreibe. Die personensorgeberechtigte Mutter der Klägerin sei der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen. Daher werde gem. § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG vermutet, dass sie das Verfahren nicht betreibe und das Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG eingestellt. [...]

Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom .. März 2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Das Bundesamt hat das Asylverfahren der Klägerin zu Unrecht eingestellt (Ziffer 1). Die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG liegen im vorliegenden Fall nicht vor.

Nach dieser Vorschrift stellt das Bundesamt das Verfahren ein oder lehnt den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ab, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer u.a. auf die nach Absatz 1 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.

Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen der Belehrung, tritt die Rücknahmefiktion nicht ein. [...]

Dies ist vorliegend der Fall. Die Belehrung der Klägerin genügt den Voraussetzungen des § 33 Abs. 4 AsylG nicht. Weder die der Mutter der Klägerin am .. Juli 2022 gegen Empfangsbestätigung übersandte "Wichtige Mitteilung" noch der an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin erteilte Hinweis in den per Einschreiben übersandten Ladungen vom .. Januar 2023 und .. Februar 2023 genügt im maßgeblichen Zeitpunkt der Sachund Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) den gesetzlichen Anforderungen.

Belehrungen aus der Zeit vor Inkrafttreten der zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen genügten den Anforderungen schon deshalb nicht, weil sie keinen Hinweis auf die nach neuer Rechtslage bestehenden Entscheidungsalternativen des Bundesamtes im Falle des Nichtbetreibens enthielten (vgl. Heusch, in: BeckOK AuslR, Kluth/Heusch, 38. Ed. 1.7.2023, AsylG § 33 Rn. 7; VG Sigmaringen, Beschluss vom 10. Februar 2023 - A 5 K 109/23 -, juris Rn. 23). Bis zu der am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Novellierung war die Rechtsfolge des tatsächlichen oder vermuteten Nichtbetreibens die Fiktion der Rücknahme des Asylantrags, sodass das Bundesamt nur noch die damit eo ipso eintretende Beendigung des Verfahrens deklaratorisch feststellen konnte. Nunmehr ist diese Fiktionswirkung entfallen. Der Asylantrag ist trotz (vermuteten) Nichtbetreibens weiterhin anhängig. Das Bundesamt kann wählen zwischen der – nunmehr konstitutiven – Einstellung des Verfahrens und einer Entscheidung in der Sache nach angemessener inhaltlicher Prüfung des Asylantrags (vgl. Heusch, in: BeckOK AuslR, Kluth/Heusch, 38. Ed. 1.7.2023, AsylG § 33 Rn. 2).

Nach diesen Maßgaben entspricht die Belehrung der Klägerin im Schreiben vom .. Juli 2022 inhaltlich nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die an die Mutter der Klägerin übermittelte Belehrung enthält den Hinweis darauf, dass ihr Asylantrag als zurückgenommen gilt, wenn sie ihr Asylverfahren nicht betreibt. Den Hinweis auf die nach neuer Rechtslage bestehenden Entscheidungsalternative des Bundesamtes im Falle des Nichtbetreibens, den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung abzulehnen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG), enthält die Belehrung vom .. Juli 2022 dagegen nicht. Sie erweckt damit den Eindruck, es bestehe im Fall des unentschuldigten Fernbleibens von der Anhörung kein Wahlrecht für das Bundesamt zwischen der Verfahrenseinstellung und der Sachentscheidung nach Aktenlage, was nach aktueller Rechtslage nicht zutreffend ist. Darüber hinaus deutet die Belehrung vom .. Juli 2022 auf eine gesetzliche Rücknahmefiktion hin, was nach aktueller Rechtslage (konstitutive Einstellung) ebenfalls nicht mehr zutreffend ist.

Dahingegen ist zwar in den an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerichteten Ladungsschreiben vom .. Januar 2023 und .. Februar 2023 der Hinweis auf § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG n.F. ebenso enthalten wie der Hinweis auf die nunmehr konstitutive Einstellung des Verfahrens. Es fehlt jedoch an der nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 4 AsylG erforderlichen Empfangsbestätigung [...].

Der Nachweis der Zustellung "gegen Empfangsbestätigung" kann nicht – wie vorliegend geschehen – durch das Übersenden der Belehrung in den Ladungsschreiben per Einschreiben ersetzt werden. Nach Ansicht der Kammer genügt eine sonstige Zustellung nach den allgemeinen Zustellungsvorschriften nicht und vermag eine Aushändigung gegen Empfangsbestätigung grundsätzlich nicht zu ersetzen [...].

Die Forderung des Gesetzgebers nach einer Belehrung gegen Empfangsbestätigung ist zwar keine Forderung nach einer Bekanntgabe in einer gesetzlich geregelten Art und Weise, insbesondere fordert der Gesetzgeber nicht die Belehrung gegen Empfangsbekenntnis (vgl. etwa § 5 VwZG); dennoch ist der Begriff der Empfangsbestätigung nur in engen Grenzen der Auslegung zugänglich. Der Wortlaut der Regelung lässt keinen Zweifel daran, dass es hinsichtlich der Belehrung einer Bestätigung ihrer Entgegennahme durch den Empfänger bedarf. [...] Zweck des Erfordernisses der Zustellung gegen Empfangsbestätigung ist die Sicherstellung einer persönlichen Aushändigung (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - 9a L 2231/18.A - juris Rn. 14 m. w. N.).

Eine solche Bestätigung, die nicht durch das zuzustellende Postunternehmen ausgestellt werden kann, sondern nur von dem Zustellungsadressaten oder dessen Vertreter, ist in den Verwaltungsvorgängen nicht enthalten und ist jedenfalls nicht durch die Zustellung per Einschreiben gewahrt. [...]

Eine (mündliche) Empfangsbestätigung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Mutter der Klägerin zum Anhörungstermin am .. Februar 2023 erschienen ist.

§ 33 Abs. 4 AsylG verlangt, dass der Adressat den Empfang der Belehrung bestätigen muss. Fehlt es hieran, ist ein solcher Mangel nicht durch den Nachweis des tatsächlichen Zugangs des Schriftstücks im Sinne des § 8 VwZG heilbar. Der Wortlaut des § 33 Abs. 4 AsylG verlangt eine "Bestätigung" des Empfangs gerade der Belehrung. Zudem ist nicht die bloße Dokumentation der Zustellung bzw. des Zugangs des Schriftstücks entscheidend. Dokumentiert werden muss die Bestätigung, dass die Belehrung entgegengenommen worden ist, um der Warn- und Hinweisfunktion des § 33 Abs. 4 AsylG und der für das Asylverfahren weitreichenden Folgen der Rücknahmefiktion Rechnung zu tragen. [...]