VG Würzburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Würzburg, Beschluss vom 18.10.2023 - W 4 S 23.30567 - asyl.net: M32032
https://www.asyl.net/rsdb/m32032
Leitsatz:

Eilrechtsschutz für in Italien anerkannte, alleinerziehende Person:

1. Die neueste obergerichtliche Rechtsprechung geht davon aus, dass es nach der Abschiebung von in Italien anerkannten Personen jedenfalls vorübergehend immer wieder zu Obdachlosigkeit kommt.

2. Einer alleinerziehenden Mutter und ihren drei minderjährigen Kindern droht als vulnerablen Personen gemäß Art. 21 Aufnahmerichtlinie bei Rückkehr nach Italien unter diesen Umständen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung entgegen Art. 4 GR-Charta/Art. 3 EMRK.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: VGH München, Urteil vom 25.05.2023 - 24 B 22.30954 - gesetze-bayern.de)

Schlagwörter: Italien, internationaler Schutz in EU-Staat, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Kinder, besonders schutzbedürftig, alleinerziehend, Frauen
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

16 2.1. Ein Fall von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist vorliegend zwar gegeben. [...]

24 2.2.2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sowie aktueller Erkenntnismittel geht der Einzelrichter zwar weiterhin davon aus, dass arbeitsfähige, nicht vulnerable Personen, denen in Italien bereits internationaler Schutz zuerkannt wurde, auch weiterhin nach Italien rücküberstellt werden können. Sichtet man die diesbezügliche jüngere Rechtsprechung, so wird auch dort weiterhin ganz überwiegend zwischen vulnerablen und nicht vulnerablen Personen unterschieden (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 24 B 22.30953 – juris Rn. 20, 23; U.v. 25.5.2023 – 24 B 22.30954 – juris Rn. 18; OVG RhPf, U.v. 27.3.2023 – 13 A 10948/22.OVG – juris Rn. 59; VG Würzburg, U.v. 19.6.2023 – W 4 K 22.30521; U.v. 29.9.2023 – W 4 K 22.30114 – juris).

25 Gerade die neueste obergerichtliche Rechtsprechung geht allerdings davon aus, dass es jedenfalls unmittelbar nach der Überstellung von Anerkannten in Italien jedenfalls vorübergehend immer wieder zu Obdachlosigkeit kommt (vgl. hierzu jüngst etwa BayVGH, U.v. 25.5.2023 – 24 B 22.30954 – juris Rn. 28 ff.; B.v. 27.9.2023 – 24 B 22.30953 – juris Rn. 30; OVG RhPf, U.v. 27.3.2023 – 13 A 10948/22.OVG – juris Rn. 50 ff.). Dementsprechend verlangt etwa der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, dass wegen der besonderen Bedürfnisse und Schutzbedürftigkeit von Kindern die EU-Mitgliedstaaten zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCh vor der Überstellung von Familien mit (Klein-) Kindern nach Italien durch Kooperation mit den italienischen Behörden sicherstellen müssen, dass bei einer Rücküberstellung dorthin ohne Zeitverzug eine kind- und familiengerechte Unterbringung erfolgen und möglichen besonderen (medizinischen) Erfordernissen Rechnung getragen wird, damit garantiert werden kann, dass der besondere Versorgungsbedarf in Italien gewährleistet ist (VGH BW, U.v. 7.7.2022 – A 4 S 3696/21 – juris Rn. 41). Eine derartige Versorgungszusicherung liegt im Falle der Antragsteller allerdings bislang nicht vor. [...]

28 Unter Berücksichtigung der vorgenannten Gegebenheiten in Italien sowie der persönlichen Umstände der Antragsteller, einer alleinerziehenden Mutter mit ihren drei minderjährigen Kindern, geht das Gericht daher davon aus, dass den Antragstellern im Falle ihrer Rückkehr nach Italien als vulnerable Personengruppe (vgl. Art. 21 RL 2013/33/EU) eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Denn es ist derzeit nicht sichergestellt, dass bei einer Rückkehr der Antragsteller nach Italien verfügbarer und erreichbarer Wohnraum bestünde, der eine Obdachlosigkeit der Antragsteller, die jedenfalls bei jüngeren Kindern auch nicht vorübergehend hinnehmbar ist (vgl. Art. 24 Abs. 2 GrCh), verhindern würde. [...]