VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 23.11.2023 - 5 L 1904/23 - asyl.net: M32015
https://www.asyl.net/rsdb/m32015
Leitsatz:

Keine systemischen Mängel im Asylsystem Bulgariens:

Einer 37 Jahre alten Frau, die nicht besonders vulnerabel ist, droht keine Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GR-Charta-Verletzung. In Bulgarien bestehen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen. Auch bei Zuerkennung eines Schutzstatus droht keine Verletzung ihrer Rechte, die die Schwelle der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erreicht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Bulgarien, alleinstehende Frauen, Abschiebungsanordnung, Aufnahmebedingungen, kein Selbsteintritt, keine systemischen Mängel, Überstellung, kein unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Unzulässigkeit
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a), AsylG § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG, VO 604/2013 Art. 18, VO 606/2013 Art. 3, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4
Auszüge:

[...]

Ausgehend von diesen Maßstäben weisen die Verhältnisse in Bulgarien nach den vorliegenden Erkenntnissen keine Mängel auf, die als systemische Schwachstellen im oben beschriebenen Sinne die Gefahr einer Verletzung der Gewährleistungen aus Art. 4 der EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK in sich bergen würden. [...]

Dies gilt zunächst, soweit die Antragstellerin im Rahmen des Dublin-Verfahrens zur Durchführung ihres Asylverfahrens nach Bulgarien rücküberstellt werden soll. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, die den Schluss rechtfertigen könnten, dass in Bulgarien für Dublin-Rückkehrer, die - wie die Antragstellerin - keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne von Art. 20 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie angehören, generell systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen bestehen. [...]

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien als Dublin-Rückkehrerin behandelt werden wird, die bereits einen Asylantrag gestellt hat, deren Asylverfahren aber noch nicht inhaltlich bestandskräftig negativ abgeschlossen ist. Bulgarien hat seine Zuständigkeit insofern auch auf Grundlage des Art. 18 Abs. 1 lit. b) Dublin III-VO erklärt.

Die Antragstellerin wird nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien - nach automatisch erfolgender Wiedereröffnung seines Asylverfahrens - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in einem Aufnahmezentrum der SAR untergebracht und versorgt werden können. Nach Kenntnis des Gerichts bestehen deutliche Überkapazitäten, sodass nach Bulgarien zurückkehrenden Asylbewerbern, deren Asylverfahren noch nicht bestandskräftig negativ inhaltlich abgeschlossen ist, aktuell nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit droht. [...]

Asylbewerber in Bulgarien haben nach wie vor Zugang zu medizinischer Versorgung im selben Ausmaß wie bulgarische Staatsbürger. Dies gilt uneingeschränkt auch für solche Dublin-Rückkehrer, die Bulgarien seit 2019 verlassen haben. Die Leistung umfasst auch den Zugang zu psychologischer bzw. psychiatrischer Versorgung. Asylbewerber, die sich für eine Unterkunft außerhalb der Aufnahmezentren entscheiden oder denen keine Unterkunft gewährt wird, haben keinen Zugang zu psychologischer Unterstützung. Der Zugang zu medizinischer Grundversorgung ist ansonsten unabhängig vom Wohnort der Asylbewerber gewährleistet. Die SAR ist gesetzlich verpflichtet, für die Krankenversicherung der Asylbewerber zu sorgen. Medizinische Grundversorgung ist in den Unterbringungszentren gegeben, und zwar entweder durch eigenes medizinisches Personal oder Nutzung der Notaufnahmen lokaler Hospitäler. Alle Zentren verfügen über medizinische Behandlungsräume. [...]

Nach diesen Vorgaben ist in Bezug auf Bulgarien nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass der Antragstellerin im Falle ihrer Überstellung in dieses Land eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung im eben beschriebenen Sinne droht.

Das Gericht geht auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse und der zum Zeitpunkt der Entscheidung allgemein zugänglichen Informationen davon aus, dass der Antragstellerin auch für den Fall, dass sie in Bulgarien internationalen Schutz erhalten sollte, keine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta droht.

Die für die dauerhafte Erlangung einer menschenwürdigen Unterkunft maßgebliche individuelle Fähigkeit des jeweiligen anerkannt Schutzberechtigten, seine Lebenshaltungskosten selbst zu bestreiten, ist nach der Erkenntnislage - die u.a. das VG Düsseldorf dezidiert in seinem Beschluss vom 31.01.2022 - 12 L 2724/21.A - dargelegt hat - für alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige international Schutzberechtigte gegeben. Da die Antragstellerin dieser Personengruppe angehört, geht das Gericht davon aus, dass es ihr nach einer eventuellen Zuerkennung internationalen Schutzes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gelingen wird, durch eigene Erwerbstätigkeit ein Einkommen zu erwirtschaften, das zur Deckung seiner eigenen Lebenshaltungskosten einschließlich der Kosten einer Unterkunft auf dem erforderlichen Mindestniveau ausreicht. [...]

Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine junge, gesunde, arbeitsfähige Frau, bei der in keiner Weise zu erkennen ist, dass ihr in Bulgarien aufgrund von individuellen Umständen Gefahren drohen, die ein "Mindestmaß an Schwere" erreichen könnten. Insbesondere gehört die Antragstellerin nicht zur Gruppe der vulnerablen Personen. Wie das Bundesamt in seiner Antragserwiderung zu Recht darauf hingewiesen hat, hat die Antragstellerin mehrere Jahre allein in der Türkei gelebt und dort ihren Lebensunterhalt als Schneiderin bestritten.

Soweit die Antragstellerin vorträgt, es bestehe die Gefahr, dass sie aufgrund der schlechten Lebensbedingungen befürchten müsse, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden, ist diese Behauptung als pauschal und unsubstantiiert zurückzuweisen.

Auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges hat sich die Situation in Bulgarien nach Auffassung des Gerichts nicht dergestalt verändert, dass systemische Mängel vorliegen würden. Für das Gericht ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine die allgemeine und wirtschaftliche Lage in Bulgarien derart verschlechtert hätte, dass dies bei gesunden und arbeitsfähigen Schutzsuchenden oder -berechtigten eine gegen Art. 3 EMRK oder Art. 4 GRCh verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zur Folge hätte. Das VG Stuttgart führt insoweit aus, dass auf Anfrage des Gerichts das BAMF mitgeteilt habe, dass Übernahmeersuchen aus Deutschland weiterhin beantwortet und die Überstellungen durchgeführt würden sowie dass es keine Erklärung Bulgariens gebe, dass die Überstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens aufgrund der ankommenden ukrainischen Schutzsuchenden generell abgelehnt worden. Folglich bestehen keine Gründe dafür, dass sich die Situation von Dublin-Rückkehrern in Bulgarien durch den Krieg in der Ukraine nachhaltig verschlechtert hat bzw. absehbar verschlechtern könnte. Es ist schon nicht davon auszugehen, dass sämtliche ukrainische Flüchtlinge überhaupt in Bulgarien bleiben oder sämtlich dort einer Erwerbstätigkeit nachgehen werden. Es ist bekannt, dass die vor allem erwerbsfähige Gruppe der Männer zwischen 18 und 60 Jahren in der Ukraine verbleiben muss, so dass überwiegend Frauen und Kinder fliehen. Ferner ist bekannt, dass Bulgarien für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine eher ein Transitland ist. So haben sich von den bis zum 28.03.2022 nach Angaben von Radio Bulgarien eingereisten 125.000 ukrainischen Staatsbürgen nur 58.000 entschieden, in dem Land zu bleiben. 16.220 Personen haben vorübergehend Schutz erhalten (https://bnr.bg/de/post/101622733/neue-verhandlungsrunde-uber-kriegende-in-der-ukraine). Dies wurde auch durch das OVG Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 16.12.2022 - 11 A 1397/21.A - bestätigt. [...]