LSG Hamburg

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Zitieren als:
LSG Hamburg, Urteil vom 05.10.2023 - L 4 AY 1/21 - asyl.net: M31982
https://www.asyl.net/rsdb/m31982
Leitsatz:

Kein Erstattungsanspruch eines Krankenhauses wegen Behandlung im Eilfall bei Erreichbarkeit des Sozialhilfeträgers:

1. Ein Eilfall gemäß § 6a AsylbLG, bei dem ein Krankenhaus einen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen gegenüber dem Sozialhilfeträger gelten machen kann, setzt voraus, dass Patient*innen umgehend mit den Mitteln des Krankenhauses behandelt werden müssen (bedarfsbezogenes Moment) und dass die zuständige Sozialbehörde nicht dienstbereit ist und deshalb nicht vom Leistungsfall in Kenntnis gesetzt werden kann (sozialhilferechtliches Moment). Ein erstattungsfähiger Eilfall besteht nur, wenn eine rechtzeitige Leistung des Sozialhilfeträgers objektiv nicht zu erlangen ist.

2. Zwar erfüllt der Schienbeinbruch eines fünfjährigen Kindes das bedarfsbezogene Moment des Eilfalls, allerdings erfolgte die Aufnahme zu einem Zeitpunkt, in dem die Sozialhilfeträgerin dienstbereit war und über den Bedarfsfall hätte informiert werden können, so dass das sozialhilferechtliche Moment des Eilfalls fehlt und ein Erstattungsanspruch des Krankenhauses ausscheidet. Im Übrigen scheitert ein Erstattungsanspruch auch daran, dass das Krankenhaus die Erstattung der Behandlungskosten nicht innerhalb angemessener Frist gemäß § 6a S. 2 AsylbLG beantragt hat. Diese endet üblicherweise einen Monat nach Ende des Eilfalls.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, medizinische Versorgung, Eilfall, Erstattungsanspruch,
Normen: AsylbLG § 6a S. 1, AsylbLG § 6a S. 2
Auszüge:

[...]

10 Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Januar 2021 abgewiesen. [...]

11 Auch ein Anspruch aus § 6a AsylbLG scheide aus. Nach dieser, mit Wirkung zum 1. März 2015 eingeführten Vorschrift habe eine Person Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen in gebotenem Umfang, wenn sie in einem Eilfall einem anderen Leistungen erbracht habe, die bei rechtzeitigem Einsetzen von Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 AsylbLG nicht zu erbringen gewesen wären, wenn sie sie nicht aufgrund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen habe. Dies gelte nur, wenn die Erstattung innerhalb angemessener Frist beim zuständigen Träger des AsylbLG beantragt werde.

12 Die Voraussetzungen des § 6a AsylbLG lägen nicht vor. Die am ... 2015 begonnene Behandlung des Patienten erfülle nicht die Voraussetzungen eines Eilfalls. Ein Eilfall erfordere, dass der Patient umgehend mit den Mitteln eines Krankenhauses behandelt werden müsse – sog. bedarfsbezogenes Moment – und die Beklagte bei Aufnahme des Patienten nicht dienstbereit gewesen sei – sog. sozialhilferechtliches Moment (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 23.8.2013 – B 8 SO 19/12 R, zur Parallelvorschrift des § 25 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XII). Vorliegend fehle es an den Voraussetzungen des  sozialhilferechtlichen Moments. Dieses trage dem Umstand Rechnung, dass ein Anspruch des Nothelfers nur solange bestehen könne, wie der Sozialhilfeträger bzw. der Leistungsträger nach dem AsylbLG keine Kenntnis vom Leistungsfall habe. [...] Zwischen dem Anspruch des Nothelfers und dem des Hilfebedürftigen bestehe ein Exklusivitätsverhältnis: Sobald der Sozialhilfeträger Kenntnis von der Hilfebedürftigkeit habe, setze nach § 18 SGB XII der Anspruch des Hilfebedürftigen ein, der dann den Anspruch des Nothelfers ausschließe. [...] Das BSG habe inzwischen klargestellt, dass die Aufwendungen für den Tag einer Krankenhausbehandlung, an dem der Sozialhilfeträger von dem Bedarfsfall Kenntnis erlange bzw. habe erlangen können, nicht mehr im Rahmen des Nothelferanspruchs erstattungsfähig seien. Für diesen Tag komme demnach allein ein Anspruch des Leistungsberechtigten in Betracht (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 1.3.2018 – B 8 SO 63/17 R). Der Anspruch des Nothelfers bestehe demnach nur dann, wenn eine rechtzeitige Leistung des Sozialhilfeträgers objektiv nicht zu erlangen sei. Es dürfe also keine Zeit zur Unterrichtung des Sozialhilfeträgers verbleiben. [...] Vorliegend sei die Aufnahme des Patienten am Mittwoch, dem 9. September 2015 um 12:20 Uhr erfolgt, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte als Trägerin der Leistungen nach dem AsylbLG unzweifelhaft dienstbereit gewesen sei.

13 Darüber hinaus stehe einem Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte entgegen, dass der Antrag auf Übernahme der Behandlungskosten für den Patienten nicht mehr innerhalb angemessener Frist nach § 6a Satz 2 AsylbLG erfolgt sei. Diese Frist beginne mit dem Ende des Eilfalls, hier also dem ... 2015. Sie betrage nach der Rechtsprechung des BSG regelmäßig einen Monat (unter Hinweis auf BSG, Urteil von 18.11.2014 – B 8 SO 9/13). Vorliegend habe die Klägerin den Behandlungsfall erst am ... 2016 bei der Beklagten angemeldet, also mehr als ein halbes Jahr nach Beendigung der Krankenhausbehandlung. [...]

24 Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheides Bezug, denen er sich nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage vollumfänglich anschließt. Ein Anspruch der Klägerin käme vorliegend allein aus § 6a AsylbLG in Betracht, dessen Voraussetzungen jedoch, wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, nicht vorliegen. Zum einen fehlt es an dem sozialhilferechtlichen Moment eines Eilfalls, da die Beklagte bei Aufnahme des Patienten im Krankenhaus dienstbereit war. Zum anderen wurde der Erstattungsanspruch aber auch nicht binnen angemessener Frist bei der Beklagten geltend gemacht, sondern erst mehr als sechs Monate nach Beendigung des stationären Krankenhausaufenthaltes.

25 Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen aus einem öffentlich-rechtlichen Auftragsverhältnis nach § 670 BGB analog. [...]