Zum Vertretenmüssen der Inanspruchnahme von Sozialleistungen bei Einbürgerung:
Eine Einbürgerung scheidet aus, wenn die Einbürgerungsbewerber*innen einen Sozialleistungsbezug zu vertreten haben. Dies ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Ursache eine Erkrankung ist. Allerdings muss die Person alles ihr Mögliche tun, um die ihre Erwerbstätigkeit hindernde Erkrankung zu heilen oder zu lindern, um wenigstens wieder teilweise erwerbsfähig sein zu können.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob dem Einbürgerungsanspruch entgegensteht, dass der Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG steht der Bezug solcher Leistungen dem Anspruch auf Einbürgerung oder Erteilung einer Einbürgerungszusicherung entgegen, soweit der Einbürgerungsbewerber die Inanspruchnahme zu vertreten hat. [...]
Sodann geht das Gericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Einbürgerungsbewerber einen Leistungsbezug, dessen Ursache in einer Erkrankung liegt, grundsätzlich nicht zu vertreten hat. Den Einbürgerungsbewerber trifft jedoch die Obliegenheit, alles ihm Mögliche zu tun, um eine seine Erwerbstätigkeit hindernde Erkrankung zu heilen oder zumindest soweit zu bessern, dass er - jedenfalls teilweise - wieder erwerbsfähig wird. Zeigt der Einbürgerungsbewerber keine Bereitschaft, seine Krankheit und damit seine Erwerbsunfähigkeit zu überwinden, hat er nicht nur die Fortdauer der Erkrankung, sondern auch den weiteren Leistungsbezug zu vertreten.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Nichtvertretenmüssen trägt angesichts der gesetzlichen Konstruktion von Regel und Ausnahme – und weil es sich typischerweise um Umstände handelt, die seiner persönlichen Sphäre entstammen – der Einbürgerungsbewerber (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 16.07.2020 - 13 LC 41/19 -, BeckRS 2020, 17571, Rn. 29; Beschl. v. 13.02.2020 - 13 LA 491/18 -, juris Rn. 16; Urt. v. 23.06.2016 - 13 LB 144/15 -, juris Rn. 34; v. 13.11.2013 - 13 LB 99/12 -, juris Rn. 35; GK-StAR, § 10 StAG Rn. 254, Stand: November 2015, m.w.N.). An den dem Einbürgerungsbewerber obliegenden Nachweis, dass er Zeiten der Nichtbeschäftigung nicht zu vertreten hat, sind allerdings keine überspannten Anforderungen zu stellen, weil der Einbürgerungsbewerber bei einer nachträglichen einbürgerungsrechtlichen Neubewertung seiner zurückliegenden Bemühungen um Arbeit in Beweisnot geraten kann, da er keinen Anlass hatte, entsprechende Bemühungen systematisch zu erfassen und beweissicher zu dokumentieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.02.2009 - 5 C 22.08 -, juris Rn. 20; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 31.07.2017 - 19 A 2368/15 -, juris Rn. 9; GK-StAR, § 10 StAG Rn. 258, Stand: November 2015). Eine umfassende Dokumentation etwa der Arbeitsbemühungen ist dem Einbürgerungsbewerber im Einbürgerungsverfahren regelmäßig dann nicht abzuverlangen, wenn diese nach §§ 2 Abs. 1, 15 Abs. 1 SGB II vom Jobcenter verlangt und als sozialrechtlich hinreichend akzeptiert worden war (Nds. OVG, Urt. v. 16.07.2020 - 13 LC 41 /19 -, BeckRS 2020, 17571, Rn. 29; vgl. auch GK-StAR, § 10 StAG Rn. 255, Stand: November 2015). [...]
Die Einzelrichterin geht angesichts der von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigung davon aus, dass seine Krankheiten fortbestehen und sieht auch weder in der Vergangenheit noch gegenwärtig Anzeichen dafür, dass der Kläger eine Obliegenheit verletzt hat, seine Erkrankung behandeln zu lassen und an der Besserung mitzuwirken. Vielmehr belegen die verschiedenen vorgelegten Atteste, dass der Kläger sich bereits seit dem Jahr 2001 von verschiedenen Ärzten wegen seiner verschiedenen Erkrankungen behandeln und therapieren lässt und er regelmäßig bei seinen Ärzten vorstellig wird. So ist es ihm auch gelungen, seine Erwerbsfähigkeit zumindest teilweise wiederherzustellen und seinen Leistungsbezug einzuschränken. So geht der Kläger mittlerweile einer Tätigkeit in Teilzeit nach. Seit … November 2022 arbeitet er bei der Firma ... 12 Stunden in der Woche. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab er hierzu an, dass sein Chef sehr zufrieden mit ihm sei und ihm in Aussicht gestellt habe, sowohl seinen Vertrag zu verlängern als auch die Arbeitsstunden langfristig aufzustocken. Dass es dem Kläger trotz seiner diversen Erkrankungen, seines für Arbeitgeber nicht unbedingt attraktiven fortgeschrittenen Alters und seiner langjährigen Arbeitslosigkeit gelungen ist, einen Weg zurück ins Arbeitsleben zu finden, ist anerkennenswert.
Auch das Jobcenter hat im Übrigen die Frage, ob der Kläger Anzeichen für Arbeitsunwilligkeit zeige, ausdrücklich verneint. Der für den Kläger zuständige Sachbearbeiter … gab im Rahmen der mündlichen Verhandlung an, der Kläger sei nie sanktioniert worden, weil es hierzu keinen Anlass gegeben habe. Terminen mit den Jobcenter sei er wenn nur entschuldigt ferngeblieben. Eine Begutachtung zur Leistungsfähigkeit durch das zuständige Gesundheitsamt sei zwar gescheitert, weil der Kläger die Begutachtungstermine nicht wahrgenommen habe. Dies sei dem Kläger aber nicht vorzuwerfen, weil er immer - belegt durch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen - entschuldigt gewesen sei. Für den erkrankten Kläger habe es schließlich kaum Stellen zur Vermittlung gegeben. Auch sei die Vermittlung wegen des Alters des Klägers problematisch gewesen. Die letzten Jahre sei der Arbeitsmarkt zudem aufgrund der Corona-Pandemie schwierig gewesen. Dass der Kläger aus eigenem Antrieb eine Stelle gefunden habe, sei als äußerst positiv zu bewerten. [...]