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OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 14.02.2023 - 3 E 2/23 - asyl.net: M31952
https://www.asyl.net/rsdb/m31952
Leitsatz:

Erfolgreiche Untätigkeitsklage wegen struktureller Überlastung der Einbürgerungsbehörde:

Welche Bearbeitungszeit für Anträge im Einzelfall angemessen ist, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Sofern die Bearbeitungsdauer mit einer Arbeitsüberlastung der Behörde begründet wird, kann dies allenfalls bei einer vorübergehenden Erscheinung als zureichender Grund gelten, jedenfalls aber nicht mehr dann, wenn von einer strukturellen Überlastung auszugehen ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Einbürgerungsantrag, Einbürgerung, Untätigkeitsklage,
Normen: VwGO § 75, StAG § 9
Auszüge:

[...]

1 Die Beschwerde des Klägers gegen den Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 16. Januar 2023 hat Erfolg. [...]

9 Welche Bearbeitungsfrist im Einzelfall angemessen ist, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Bei der in § 75 Satz 2 VwGO genannten Sperrfrist von drei Monaten handelt es sich nur um die regelmäßige Mindestfrist für die Bearbeitung. Die Frist kann im Einzelfall auch länger sein, wobei das Interesse des Antragstellers an einer zeitnahen Sachentscheidung und die die Bearbeitungsdauer bedingenden Umstände in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden müssen. Dabei ist die Behörde für die tatsächlichen Umstände, die einen zureichenden Grund i. S. d. § 75 VwGO begründen können sollen, darlegungsbelastet [...]. Soweit die Bearbeitungsdauer mit einer Arbeitsüberlastung der Behörde begründet wird, dürfte in der Rechtsprechung [...] und im Schrifttum [...] anerkannt sein, dass eine solche nur dann eine längere Zeitdauer für die Bearbeitung rechtfertigen kann, wenn es sich um eine vorübergehende Erscheinung handelt, auf die nicht (zeitnah) durch organisatorische Maßnahmen reagiert werden kann. Normale Ausfallzeiten wegen Krankheit müssen organisatorisch aufgefangen werden. Ist eine Behörde generell überlastet oder steigert sich die Arbeitsbelastung kontinuierlich, ohne dass darauf reagiert wird, begründet dies keinen zureichenden Grund [...].

10 Ausgehend von den Darlegungen der Beklagten in der Beschwerdeinstanz ist von einer strukturellen Überlastung des für die Bearbeitung von Einbürgerungen zuständigen Teils der Ausländerbehörde der Beklagten auszugehen, der jedenfalls nicht rechtzeitig mit einem ausreichenden Personalzuwachs entgegengewirkt wurde. Nach den Darlegungen der Beklagten sind dafür auch weder die Belastungen in Zusammenhang mit den Flüchtlingen aus der Ukraine noch die "Nachwirkungen" der Corona-Pandemie in einem solchen Umfang maßgeblich, dass hier von einer kurzfristigen besonderen Belastungssituation der Behörde auszugehen wäre, die ein längeres Zuwarten auf die Antragsbearbeitung im Einzelfall rechtfertigen könnte. Die Beklagte legt schon selbst dar, dass Ende 2020 die Antragszahlen stark gestiegen seien. Dies stellt nach dem Verständnis des Senats die eigentliche Ursache für die bis heute andauernde erhebliche Überlastungssituation bei der Beklagten dar. Dabei handelte es sich auch, wie die Beklagte auch selbst erkennt, um keine unvorhersehbare Antragsflut, wie sie etwa im Fall einer - unvorhersehbaren - Gesetzesänderung eintreten (vgl. BVerfG a. a. O.) und einen zureichenden Grund für eine längere Bearbeitung darstellen kann. Denn es war absehbar, dass die seit 2015 in die Bundesrepublik eingereisten Personen nach Ablauf von sechs Jahren (§ 10 Abs. 3 Satz 2 StAG) zumindest die zeitlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen würden und auch in den Folgejahren angesichts der weiter sinkenden Voraussetzungen für eine Einbürgerung (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 1 und § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG) Anträge in erheblichen Umfang gestellt würden. Ebenso war absehbar, dass sich viele dieser Menschen auch tatsächlich um einen gesicherten und dauerhaften Aufenthaltsstatus bemühen würden, wie ihnen dies die Einbürgerung vermitteln würde. Zwar hat die Beklagte im Jahr 2021 reagiert und dem Bereich der Einbürgerung zwei weitere Mitarbeiter zugewiesen, aber dies war schon nach den Darlegungen der Beklagten offensichtlich nicht ausreichend, um das "enorme Antragsaufkommen" zu bewältigen. Zwar mögen auch die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Erschwernisse zu Belastungen geführt haben, aber soweit die Beklagte auf eine unzureichende Raumsituation verwiesen hat, erscheint nicht nachvollziehbar, warum für die nach ihren eigenen Darlegungen maximal fünf Mitarbeiter nicht Räumlichkeiten in einem solchen Umfang zur Verfügung standen oder offenbar über ein Jahr nicht zur Verfügung gestellt werden konnten, so dass diese die mit den Antragstellern durchzuführenden Anhörungen hätten bewerkstelligen können. Dass die übrige Bearbeitung nicht auch aus der Heimarbeit heraus hätte erfolgen können, ist schon nicht dargelegt.

11 Auch soweit auf die Covid-19-Erkrankung der Mitarbeiter verwiesen wird, rechtfertigt dies keine wesentlich verlängerte Bearbeitungszeit. Selbst wenn man von einer regulären Erkrankungsdauer von zehn bis vierzehn Tagen ausgeht, handelt es sich um keinen Zeitraum, der so über übliche Krankheits- und Ausfallzeiten hinausgeht, dass dieser nicht durch die üblicherweise ohnehin in die Personalausstattung einzustellende reguläre Krankheitszeit von Personal wesentlich hinausginge - jedenfalls nicht in einem solchen Umfang, dass dies auch nur ansatzweise den inzwischen aufgelaufenen Bearbeitungsrückstand erklären würde. [...] Angesichts des enormen Bearbeitungsrückstands liegt ein strukturelles Organisationsdefizit auf der Hand, auf das nicht rechtzeitig, jedenfalls nicht im gebotenen Umfang reagiert wurde. Auch die besonderen Belastungen, welche die Kommunen seit Februar 2022 in Zusammenhang mit den zahlreichen Flüchtlingen aus der Ukraine zu bewältigen hatten, ändern nichts an dieser Bewertung. Denn wie dargelegt, liegt die Ursache für den Bearbeitungsrückstau im Bereich der Einbürgerung viel früher und auch, wenn es 2022 bei einer Besetzung mit fünf Mitarbeitern geblieben wäre, wäre immer noch ein ganz erheblicher Rückstand vorhanden. Dabei kann dahinstehen, ob der Abzug von Mitarbeitern aus dem Bereich Einbürgerung im Jahr 2022 tunlich war, und, ob nicht mit Abordnungen aus anderen Bereichen, wie dies bei der Corona-Pandemie in Bezug auf die personelle Unterstützung der Gesundheitsämter praktiziert wurde, geboten gewesen wäre. [...]