OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 06.09.2023 - 3 B 141/23 - asyl.net: M31950
https://www.asyl.net/rsdb/m31950
Leitsatz:

Kein vorübergehender Schutz für libanesischen Staatsangehörigen nach Flucht aus der Ukraine:

1. Ob in den Libanon zurückkehrenden Personen Verelendung und damit eine Verletzung von Art. 3 EMRK droht, weil sie angesichts der Wirtschaftskrise ihre Existenz im Herkunftsland nicht sichern können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es ist davon auszugehen, dass eine Person, die im Ausland studieren konnte und dort das Studium der Zahnmedizin abgeschlossen hat, bei Rückkehr eine Lebensgrundlage finden wird, weil sie zum einen aus einer eher privilegierten Familie stammen dürfte und zum anderen die für eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit notwendigen Fähigkeiten hat.

2. Zwar hat das Bundesministeriums des Innern gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2001/55/EG den vorübergehenden Schutz auf Staatenlose und Staatsangehörige anderer Länder als der Ukraine ausgeweitet, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Im vorliegenden Fall kann die betroffene Person jedoch sicher und dauerhaft in den Libanon zurückkehren.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: VGH Bayern, Beschluss vom 08.12.2021 - 15 ZB 21.31689 - gesetze-bayern.de)

Schlagwörter: Libanon, Ukraine, vorübergehender Schutz, Massenzustromsrichtlinie, Richtlinie zum vorübergehenden Schutz, Existenzgrundlage, Wirtschaftskrise, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AufenthG § 24 Abs. 1, Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 Art. 2 Abs. 3, RL 2001/55/EG Art. 7 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

2.2 Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass der Antragsteller sicher und dauerhaft in sein Herkunftsland Libanon zurückkehren kann.

(1) Soweit der Antragsteller die vom Verwaltungsgericht ausführlich gewürdigte wirtschaftliche und finanzielle Lage im Libanon heranzieht und daher der Auffassung ist, das auch ihm eine Rückkehr nicht zumutbar ist, führt dies nicht zum Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat, ohne dass der Antragsteller die diesbezüglichen Feststellungen gerügt hat, die gegenwärtige Situation im Libanon im Einzelnen analysiert. Dabei hat es die konkreten, in der Person des Antragstellers liegenden Umstände herangezogen. In diesem Zusammenhang hat es darauf hingewiesen, die Tatsache eines Studiums in der Ukraine deute darauf hin, dass er zu einem eher privilegierten Personenkreis gehöre. Zudem hat es in seine Prüfung einbezogen, dass es ihm nach dem abgeschlossenen Studium der Zahnmedizin und aufgrund der dabei erworbenen Kenntnisse möglich sein dürfte, seine Grundbedürfnisse im Libanon ggf. auch mit Unterstützung seiner Familie zu decken.

Dem kann der Antragsteller nicht entgegenhalten, dass die Situation in seinem Herkunftsland grundsätzlich keinen dauerhaften und sicheren Aufenthalt ermögliche. Vielmehr ergibt sich aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, die seit Beginn der Wirtschaftskrise im Libanon ergangen ist, dass das Vorliegen einer ernsthaften Gefahr für zurückkehrende libanesische Staatsangehörige, ihre Existenz in ihrem Herkunftsland nicht sichern zu können, nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft werden kann. Insbesondere können hierbei die Ausbildung sowie die familiären Beziehungen im Herkunftsland herangezogen werden (SächsOVG, Beschl. v. 23. August 2023 - 5 A 163/23.A -, n. v. Rn. 6 ff.; BayVGH, Beschl. v. 8. Dezember 2021 - 15 ZB 21.31689 -, juris Rn. 8; OVG Bremen, Beschl. v. 19. Juli 2022 - 1 LA 130/21 -, juris Rn. 13 ff., jeweils m. w. N.). [...]

(2) Nichts anderes gilt, soweit der Antragsteller auf seine Verwurzelung in der Ukraine und seine Entwurzelung von seinem Herkunftsland hinweist.

So ist schon zweifelhaft, ob bei der Prüfung einer Verwurzelung auf den Studienort abzustellen ist. Denn der Antragsteller möchte in Deutschland bleiben, wo er bis vor kurzem nicht gelebt hat. Das [...]

Zwar dürfte der Antragsteller gemäß seinem Vorbringen schon 2018 und damit noch als heranwachsender 17-jähriger Student in die Ukraine eingereist sein. Allerdings ergibt sich schon aus der Tatsache, dass er von vornherein nur zu Studienzwecken und damit für einen begrenzten Zeitraum in der Ukraine zu leben beabsichtigte, dass von einem dauerhaften Aufenthalt jedenfalls im Rahmen seines Studienaufenthalts noch nicht auszugehen war. [...]

Nichts anderes gilt im Hinblick auf seine Entwurzelung. Dass er den Kontakt in sein Herkunftsland abgebrochen, den Lebensverhältnissen dort vollkommen entfremdet und es ihm daher unzumutbar wäre, dorthin zurückzukehren, ist nicht ersichtlich. [...]