VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 25.03.2022 - AN 18 E 22.50014 - asyl.net: M31920
https://www.asyl.net/rsdb/m31920
Leitsatz:

Zum Begriff der "Erstentscheidung" im Dublin-Verfahren:

Art. 10 Dublin-III-VO (Familienangehörige, die internationalen Schutz beantragt haben) stellt nicht auf die erste behördliche Entscheidung ab, sondern auf eine bestandskräftige Erstentscheidung in der Sache. Dem Ziel der Achtung des Familienlebens kann nur hinreichend Rechnung getragen werden, wenn nicht zwischen behördlichem und gerichtlichem Verfahren unterschieden wird.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Familienzusammenführung, subsidiärer Schutz, besondere Härte,
Normen: VO 604/2013 Art. 10, VO 604/2013 Art. 9, VO 604/2013 Art. 17
Auszüge:

[...]

23 (2) Eine Entscheidung darüber kann jedoch - zumal im vorliegenden Eilverfahren mit seinem nur summarischen Prüfungsmaßstab - dahinstehen, weil sich ein Anordnungsanspruch jedenfalls aus Art. 10 Dublin III-VO ergibt.

24 Hat ein Antragsteller in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, so ist demnach dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.

25 Zum Zeitpunkt der Antragstellung in Litauen am 3. September 2021 war im Asylverfahren der Referenzperson lediglich eine nicht bestandskräftige und rechtswidrige behördliche Entscheidung ergangen. Diese erfüllt entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin in der Antragserwiderung vom 2. Februar 2022 nicht die Anforderungen an die von Art. 10 Dublin-III-VO geforderte Erstentscheidung in der Sache. Zweck der Regelung ist die Wahrung der Familieneinheit, wobei nach dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung im Einklang mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, bei Anwendung der Verordnung die Achtung des Familienlebens vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein sollte. Diesem Ziel kann nur hinreichend Rechnung getragen werden, indem nicht zwischen behördlichem und gerichtlichem Verfahren unterschieden, sondern eine gemeinsame Zuständigkeit angenommen wird, die erst endet, wenn das Asylverfahren der Familienangehörigen rechtskräftig abgeschlossen ist. Art. 10 Dublin-III-VO stellt demnach nicht auf die erste behördliche Entscheidung, sondern auf eine bestandskräftige Erstentscheidung in der Sache ab (auch auch OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17. August 2021 - 1 LA 43/21 - juris Rn. 8 ff; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. September 2019 - OVG 6 N 58.19 - juris Rn. 9 ff.; Bruns in NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 27a AsylvfG Rn. 38). [...]