VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 18.10.2023 - 3 L 1700/23 - asyl.net: M31915
https://www.asyl.net/rsdb/m31915
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Zweitantragsbescheid wegen Zweifeln an Vereinbarkeit von § 71a AsylG mit Unionsrecht:

Ob die Regelung des § 71a AsylG mit Art. 33 Abs. 2 Bst. d und Art. 2 Bst q Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) vereinbar ist, ist eine offene Frage. Denn gemäß Art. 33 Abs. 2 Bst. d Asylverfahrensrichtlinie können Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden, wenn es sich um "Folgeanträge" gemäß Art. 2 Bst q Asylverfahrensrichtlinie handelt. Ob ein Folgeantrag in diesem Sinne auch dann vorliegt, wenn der vorherige Antrag nicht im selben, sondern in einem anderen EU-Staat abgelehnt wurde, ist umstritten.  

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: VGH Bayern, Beschluss vom 26.01.2023 - 6 AS 22.31155 (Asylmagazin 4/2023, S. 115 f.) - asyl.net: M31306; anderer Ansicht: VG Trier, Urteil vom 13.06.2023 - 7 K 1153/23.TR - asyl.net: M31659)

Schlagwörter: Zweitantrag, Unionsrecht, Suspensiveffekt, Asylverfahrensrichtlinie, Asylfolgeantrag,
Normen: AsylG § 71a Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 Bst. d, RL 2013/32/EU Art. 2 Bst. q
Auszüge:

[...]

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.  [...]

Nach Art. 33 Abs. 2 RL 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie) kann eine Ablehnung als unzulässig allerdings nur in den dort genannten Fällen erfolgen, u.a. dann, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt (Art. 33 Abs. 2 Buchst. d) RL 2013/32/EU). Die Europäische Kommission hat in einem früheren Verfahren vor dem EuGH die Auffassung vertreten, dass der weitere Antrag auf internationalen Schutz nur dann als "Folgeantrag" eingestuft werden könne, wenn er in demjenigen Mitgliedstaat gestellt werde, dessen zuständige Stellen einen früheren Antrag desselben Antragstellers mit einer bestandskräftigen Entscheidung abgelehnt hätten (vgl. EuGH, U.v. 20.5.2021 - C-8/20 - juris Rn. 29). Ein Zweitantrag dürfte nach dieser Auffassung nicht wie ein Folgeantrag als unzulässig abgelehnt werden, da der Zweitantrag gem. § 71a AsylG definiert ist als Antrag, der gestellt wird, nachdem bereits in einem anderen Mitgliedsstaat ein Asylverfahren erfolglos abgeschlossen wurde.

Die Frage der Vereinbarkeit des § 71a AsylG mit Unionsrecht wurde bislang in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - Rn. 26) und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) (vgl. Hage, NVwZ 2022, 391/393) ausdrücklich offengelassen. Wegen ernstlicher Zweifel an der unionsrechtlichen Vereinbarkeit der Unzulässigkeitsentscheidung samt Abschiebungsandrohung, ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 26.1.2023 - 6 AS 22.31155 - juris; OVG NRW, B.v.31.3.2022 -1 B 375/22.A - juris und vom 06.04.2023 - 4 R 87/23 -, juris). [...]