VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Beschluss vom 20.09.2023 - Au 9 S 23.30872 - asyl.net: M31901
https://www.asyl.net/rsdb/m31901
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Ablehnung eines Folgeantrags als offensichtlich unbegründet:

1. Die 20 Jahre zurückliegende Beteiligung an einem Attentat auf den damaligen irakischen Präsidenten kann für die antragstellende Person bei Rückkehr eine begründete Verfolgungsfurcht begründen. Jedenfalls hätte dieser Aspekt genauer geprüft werden müssen.

2. Zudem bestehen erhebliche Bedenken gegen die Abschiebungsandrohung, weil das BAMF die familiären Bindungen bei der Rückkehrentscheidung nicht berücksichtigt hat.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, offensichtlich unbegründet, terroristische Vereinigung, Todesstrafe, Abschiebungsandrohung, Kindeswohl
Normen: AsylG § 30 Abs. 1, AsylG § 36, AsylG § 3, AufenthG § 60 Abs. 5, RL 2008/115/EG Art. 3, RL 2008/115/EG Art. 4, RL 2008/115/EG Art. 6, RL 2008/115/EG Art. 7
Auszüge:

[...]

31 Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für eine qualifizierte Ablehnung des erneuten Asylantrags gemäß § 30 Abs. 1 AsylG nicht gegeben. Sofern das Bundesamt einerseits darauf abstellt, dass der Antragsteller aufgrund seiner angenommenen Beteiligung an einem Terrorakt gegen den damaligen irakischen Präsidenten aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen ist und aus diesen Gründen ein erhebliches gesteigertes Vollstreckungsinteresse folgert, ist es andererseits zugunsten des Antragstellers nicht auszuschließen, dass für diesen bei der angenommenen Sachlage eine begründete Verfolgungsfurcht bei einer Rückkehr in den Irak bestehen kann. Bei dieser Sachlage kann nicht darauf geschlossen werden, dass allein aufgrund des vergangenen Zeitraums seit dem Attentat (20 Jahre) kein Verfolgungsinteresse mehr seitens des irakischen Staats besteht. Jedenfalls hätte dieser Umstand besonderer Aufklärung seitens des Bundesamts bedurft. Die erfolgte lapidare Ablehnung des erneuten Asylantrags des Antragstellers innerhalb weniger Tage als offensichtlich unbegründet erweist sich jedenfalls bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.

32 Daneben bestehen aber auch erhebliche Bedenken gegen die ausgesprochene Abschiebungsandrohung aufgrund der gebotenen Anwendung von Unionsrecht. [...]

35 Zwar betrifft die gegenständliche Abschiebungsandrohung – anders als in dem vorgelegten Fall [...] – nicht die gegenüber einem Minderjährigen erlassene Rückkehrentscheidung. Jedoch ist bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen maßgeblich auf die Sicht des (minderjährigen) Kindes abzustellen, wenn durch sie der Umgang mit einem Kind berührt wird, und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen, insbesondere in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte [...].

36 Ob zwischen Elternteil und Kind eine familiäre Gemeinschaft besteht, hängt im Wesentlichen von den konkret-individuellen Umständen des Familienlebens ab. Hier ist in Ermangelung entgegenstehender Erkenntnisse von einer bestehenden häuslichen Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinen drei minderjährigen Kindern auszugehen. [...]