Bundesministerium des Innern

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Zitieren als:
Bundesministerium des Innern, Erlass/Behördliche Mitteilung vom 16.08.2023 - - asyl.net: M31898
https://www.asyl.net/rsdb/m31898
Leitsatz:

Zur Unzumutbarkeit der Abgabe einer "Reueerklärung":

1. Von der Unzumutbarkeit der Unterzeichnung einer "Reueerklärung" ist immer dann auszugehen, wenn die Reueerklärung mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verknüpft ist, wobei es ausreicht, wenn diese Tat nur nach dem Recht des Herkunftsstaats strafbar ist und die betroffene Person ausdrücklich und plausibel darlegt, dass sie die Erklärung nicht abgeben will.

2. Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Passbeschaffung von Personen mit subsidiären Schutzstatus soll eine sorgfältige Prüfung vorgenommen werden, auf welcher Grundlage der subsidiäre Schutz erteilt wurde. Falls dem eine gezielte Bedrohung zugrunde lag und diese Bedrohung weiter anhält, kann sich eine Unzumutbarkeit ergeben. Eine solche Bedrohung kann sich auch aus einer Gefährdung von Angehörigen im Heimatland ergeben, entsprechende Fälle sind beispielsweise bei syrischen Staatsangehörigen bekannt geworden.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 11.10.2022 - 1 C 9.21 (Asylmagazin 4/2023, S. 100 ff.) - asyl.net: M30993 und siehe dazu Anmerkung von Yannick Gerdes: Unzumutbarkeit der Passbeschaffung beim Erfordernis einer "Reueerklärung" – Anmerkung zum Urteil des BVerwG vom 11.10.2022, Asylmagazin 4/2023, S. 102–106.)

Schlagwörter: Passbeschaffung, subsidiärer Schutz, Eritrea, Syrien, Reiseausweis für Ausländer, Mitwirkungspflicht, Reueerklärung, Zumutbarkeit, Diasporasteuer, staatsbürgerliche Pflicht, Mitwirkungshandlung, Botschaft, Auslandsvertretung,
Normen: AufenthV § 5, RL 2011/95/EU Art. 25, AsylG § 4
Auszüge:

[...]

Das Bundesverwaltungsgericht hat zudem Ausführungen zur Unzumutbarkeit der Passbeschaffung bei Personen mit subsidiärem Schutz gemacht (Randnummern 12-16, obiter dictum). [...]

Im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung gibt das Bundesministerium des Innern und für Heimat folgende Handlungsempfehlungen:

1. Ein Ausländer kann einen Pass oder Passersatz nicht in zumutbarer Weise erlangen (§ 5 Absatz 1 AufenhV), wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung der Passdokumente an die Unterzeichnung einer "Reueerklärung" knüpft, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verknüpft ist, und der Ausländer ausdrücklich und plausibel darlegt, dass er diese Erklärung nicht abgeben will. Es genügt, dass die Tat, derer sich der Ausländer bezichtigen soll, nur nach dem Recht des Herkunftsstaats strafbar ist.

Die Unzumutbarkeit, eine "Reueerklärung" unter diesen Voraussetzungen abzugeben, gilt unabhängig von Alter, Geschlecht, Aufenthaltszweck sowie Aufenthalts- und (asylrechtlichen) Schutzstatus. Bislang ist das Erfordernis einer "Reueerklärung" nur im Zusammenhang mit eritreischen Staatsangehörigen bekannt geworden.

Was die Vorsprache bei Auslandsvertretungen zur Klärung von Voraussetzungen der Ausstellung von Reisepässen betrifft, sind derzeit keine grundsätzlichen (Gefährdungs-) Gründe für eritreische Staatsangehörige bei Aufsuchen ihrer Auslandsvertretung bekannt. Zugleich sind in der Praxis Fälle bekannt, in denen die "Reueerklärung" von der eritreischen Auslandsvertretung nicht gefordert und Reisepässe ohne die Abgabe dieser Erklärung ausgestellt worden sind. Im Interesse einer einheitlichen Praxis der Länder und im Interesse der Betroffenen sollte mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf Vorsprachetermine bei eritreischen Staatsangehörigen mit Schutzstatus in Deutschland verzichtet werden, bei denen üblicherweise eine Reueerklärung verlangt wird. Dies sind Personen im dienstpflichtigen Alter ab 18 Jahren bis 47 Jahren bei Frauen und bis 57 Jahren bei Männern.

2. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts ist es subsidiär Schutzberechtigten nicht schon allein wegen des ihnen zuerkannten Schutzstatus unzumutbar, bei der Auslandsvertretung ihres Herkunftsstatus einen nationalen Pass zu beantragen (BVerwG 1 C 9.21 Randnummer 12). Die Grundlage für die abweichende Handhabe bei anerkannten Flüchtlingen einerseits und subsidiär Schutzberechtigten andererseits ist nach der Gerichtsentscheidung Artikel 25 Absatz 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Randnummern 12-15).

Umstände, die hiervon abweichend im Einzelfall eine Unzumutbarkeit begründen können, müssen grundsätzlich durch den Betroffenen dargelegt und nachgewiesen werden. Die bloße Behauptung einer Gefährdung, die nicht mit Nachweisen oder zumindest einer Glaubhaftmachung durch eine detaillierte Schilderung der fallbezogenen Umstände begleitet ist, reicht regelmäßig nicht aus, um eine Unzumutbarkeit anzunehmen. [...]

Besonders beachtlich sind Fälle, in denen der subsidiäre Schutzstatus aufgrund einer gezielten Bedrohung durch staatliche Behörden zuerkannt worden ist und diese Bedrohung weiter anhält, selbst wenn das Maß oder die Art der Bedrohung nicht die Schwelle einer politischen Verfolgung im Sinne des Asylrechts erreicht (vgl. § 4 Absatz 1 und 2 AsylG).

Eine gezielte anhaltende Bedrohung kann sich auch aus der begründeten Furcht vor einer Gefährdung im Heimatland lebender Angehöriger ergeben. So sind zum Beispiel Repressalien gegenüber in Syrien aufhältigen Familienangehörigen bekannt geworden, die im Zusammenhang mit der ehemaligen beruflichen Tätigkeit von staatlichen Bediensteten stehen (z.B. ehemalige Beamte und Mitarbeiter der Polizei, desertierte Soldaten). [...]