OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.05.2023 - 3 B 24/22 - asyl.net: M31864
https://www.asyl.net/rsdb/m31864
Leitsatz:

Kein Familienasyl für Zweitehefrau:

Auch wenn eine im Ausland geschlossenen Mehrehe wirksam ist, wird eine weitere Ehefrau nicht vom Familienasyl nach § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG umfasst. Hierbei ist nämlich der Ehebegriff von Art. 6 Abs. 1 GG heranzuziehen, der eine Einehe umfasst.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienschutz, Mehrehe, Zweitehe, Unionsrecht
Normen: AsylG § 26 Abs. 1, AsylG § 26 Abs. 5, GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Gemessen daran bestehen an der Wirksamkeit der Ehe zwischen der Klägerin und Herrn ... keine durchgreifenden Zweifel. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass eine Eheschließung in Syrien stattgefunden hat. Durch die Eintragung der Klägerin als zweite Ehefrau in das amtliche syrische Familienbuch ist die Eheschließung hinreichend belegt. Dem ist auch die Beklagte nicht entgegengetreten. Ferner sind keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Ehe erkennbar. [...]

Ungeachtet der zivilrechtlichen Wirksamkeit einer im Ausland geschlossenen Mehrehe wird eine weitere (zweite) Ehefrau allerdings nicht vom Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG erfasst, wenn bereits eine Ehefrau des Mannes, dem die Flüchtlingseigenschaft im Bundesgebiet zuerkannt worden ist, Familienflüchtlingsschutz erhalten hat.

§ 26 AsylG schafft zugunsten der von der Norm erfassten Familienangehörigen der Klein-(Kern-)Familie aus Ehegatten und minderjährigen Kindern eine Privilegierung, indem diese - ohne dass sie in ihrer eigenen Person die Asylberechtigung oder den internationalen Schutz rechtfertigende Gründe nachweisen müssten - denselben Schutzstatus wie der Stammberechtigte in Anspruch nehmen können. Die Norm stellt eine einfachgesetzliche Begünstigung dar, die ihre Rechtfertigung in Art. 6 Abs. 1 GG findet (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1992 - 9 C 66.91 - juris Rn. 14), auch wenn dieses Grundrecht ein abgeleitetes Asylrecht bzw. einen abgeleiteten Flüchtlingsschutz für Familienangehörige nicht gebietet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 - 2 BvR 1517/84 - juris Rn. 1; Beschluss vom 3. Juni 1991 - 2 BvR 720/91 - juris Rn. 3; Beschluss vom 20. August 1998 - 2 BvR 10/98 - juris Rn. 19).

Unter diesen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass für das Verständnis des § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG der Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG heranzuziehen ist. Dieser umfasst - der europäischen Rechtstradition folgend - nur die Vereinigung eines Mannes und einer Frau, also die Einehe (vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959 - 1 BvR 205/58 - juris Rn. 27, Beschluss vom 7. Oktober 1970 - 1 BvR 409/67 - juris Rn. 32; Beschluss vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 - juris Rn. 35; Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/91 - juris Rn. 27; Urteil vom 17. Juli 2002 - 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01 - juris Rn. 83; Badura, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand: September 2022, Art. 6 Rn. 42; von Coelln, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 6 Rn. 7; Uhle, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: November 2022, Art. 6 Rn. 2a). Auch wenn sich § 26 AsylG - anders als etwa § 27 Abs. 1 AufenthG - nicht ausdrücklich auf Ehe und Familie im Sinne von Art. 6 GG bezieht, besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber bei der Normierung des Familienasyls durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) und dessen Erweiterung um einen Familienflüchtlingsschutz von einem weitergehenden Eheverständnis ausgegangen sein könnte.

Es besteht keine gesetzliche Notwendigkeit, die in § 26 Abs. 1 AsylG vorgesehene, auf Art. 6 Abs. 1 GG basierende Privilegierung auf zweite oder weitere Ehepartner eines Flüchtlings auszudehnen. Dies gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass die Gewährung von Familienasyl bzw. Familienflüchtlingsschutz zugunsten des Ehegatten (auch) mit dessen Nähe zum Verfolgungsgeschehen und der daraus gleichfalls für ihn herrührenden Gefahr gerechtfertigt wird, weil bei Familienangehörigen häufig eine vergleichbare Bedrohungslage wie bei dem Schutzberechtigten selbst vorliegen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 48/91 - juris Rn. 11; Urteil vom 15. Dezember 1992 - 9 C 61.91 - juris Rn. 7; Urteil vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - juris Rn. 8; Urteil vom 17. November 2020 - 1 C 8.19 - juris Rn. 26 unter Verweis auf BT-Drs. 17/13063 S. 21; Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 1 B 35.21 - juris Rn. 6; s. auch Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AsylG § 26 Rn. 2, 4; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2022, AsylG § 26 Rn. 3). Es bleibt dem (weiteren) Ehegatten unbenommen, einen eigenständigen Asylantrag zu stellen und eine individuelle flüchtlingsrelevante Verfolgung geltend zu machen, die auch aus der familiären Verbindung zu dem als Flüchtling anerkannten Ausländer resultieren kann. [...]