Kein Familiennachzug zu volljährig gewordener subsidiär schutzberechtigter Person:
Es besteht kein Anspruch auf Familiennachzug nach § 36a AufenthG zur stammberechtigten Person, da diese zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bereits volljährig war.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
2. Im Einklang mit Bundesrecht hat das Verwaltungsgericht einen Anspruch der Kläger auf Familiennachzug verneint.
a) Ein solcher Anspruch der Kläger zu 1 und 2 auf Elternnachzug folgt nicht aus § 36 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 31. Juli 2018 gültigen Fassung. Die Vorschrift findet nach § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG Anwendung auf den Familiennachzug zu Ausländern, denen bis zum 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erteilt worden ist, wenn der Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Familiennachzuges zu dem Ausländer bis zum 31. Juli 2018 gestellt worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dem Stammberechtigten wurde eine Aufenthaltserlaubnis am 17. Dezember 2018 erteilt. Die Kläger stellten ihren Visumantrag am 26. November 2018. Die Kläger zu 3 bis 6 haben keinen Anspruch auf Kindernachzug nach § 32 Abs. 1 AufenthG, weil ihre Eltern nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels sind.
b) Einen Anspruch der Kläger zu 1 und 2 nach § 36a AufenthG hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint, weil der Stammberechtigte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 7. Juli 2020 bereits volljährig war.
aa) Nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 AufenthG kann den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG (als subsidiär Schutzberechtigter) besitzt, aus humanitären Gründen ein nationales Visum für die Einreise und den Aufenthalt zum Familiennachzug erteilt werden, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Die beispielhafte Aufzählung ("insbesondere") der zwingenden humanitären Gründe für die Zusammenführung in § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nennt unter Nr. 1 die Unmöglichkeit der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit und in Nr. 2 die Betroffenheit eines minderjährigen Kindes.
bb) Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung des Familiennachzuges zum anerkannten Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG einerseits und zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG andererseits verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. [...]
3. Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen für die Erteilung von Visa zum Familiennachzug an die Kläger nach § 36 Abs. 2 AufenthG verneint.
Die danach erforderliche außergewöhnliche Härte liegt nicht vor. Der Nachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre. Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 Rn. 11 f.). [...]
4. Die Kläger haben auch keinen Aufnahmeanspruch nach § 22 Satz 1 AufenthG.
a) Gemäß dieser Norm soll nach der Intention des Gesetzgebers insbesondere aus dringenden humanitären Gründen über § 36a AufenthG hinaus im Einzelfall auch Angehörigen der Kernfamilie subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können. Solche Gründe sind anzunehmen, wenn die Aufnahme des Familienangehörigen sich aufgrund des Gebots der Menschlichkeit aufdrängt und eine Situation vorliegt, die ein Eingreifen zwingend erforderlich macht. Dies gilt zum Beispiel beim Bestehen einer erheblichen und unausweichlichen Gefahr für Leib und Leben des Familienangehörigen im Ausland. Die dringenden humanitären Gründe im Sinne des § 22 AufenthG können sowohl beim bereits im Bundesgebiet befindlichen Schutzberechtigten als auch beim im Ausland befindlichen Familienangehörigen vorliegen (BT-Drs. 19/2438 S. 22). [...]
b) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen eines dringenden humanitären Grundes im Falle der Kläger verneint, weil eine von den Verhältnissen anderer syrischer Staatsangehöriger, deren Kinder und Geschwister das Herkunftsland verlassen haben, abweichende Notlage nicht ersichtlich sei. [...]