VG Stuttgart

Merkliste
Zitieren als:
VG Stuttgart, Beschluss vom 23.08.2023 - A 4 K 4321/23 - asyl.net: M31830
https://www.asyl.net/rsdb/m31830
Leitsatz:

Abschiebungsanordnung nach Italien im Dublin-Verfahren rechtswidrig:

"1. Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist, dass der Zielstaat zur (Wieder-)Aufnahme bereit ist.

2. Italien verweigert aktuell die (Wieder-)Aufnahme von Dublin-Rückkehrern.

3. Auf Grundlage aktueller Mitteilungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie des für Über­stellungen zuständigen Regierungspräsidiums Karlsruhe konnten seit Dezember 2022 keine Überstellungen nach Italien stattfinden. Daher kann derzeit nicht prognostiziert werden, dass Überstellungen nach Italien in den nächsten Monaten wieder möglich sein werden.

4. Unter diesen Bedingungen bleibt es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unbenommen, anstelle einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG eine Abschiebungsandrohung zu erlassen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Italien, Abschiebungsanordnung, Aufnahmebereitschaft, Rundschreiben,
Normen: AsylG § 34a Abs. 1 S. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

6 Das Bundesamt darf eine Abschiebungsanordnung nur erlassen, wenn die Überstellung des Asylbewerbers zeitnah tatsächlich möglich und rechtlich zulässig [...]. Andernfalls bleibt es zwar zunächst und  grundsätzlich dabei, dass der Asylantrag als unzulässig abzulehnen ist [...]. Gleichwohl kann eine Abschiebungsanordnung nicht ergehen. Liegen die Voraussetzungen zum Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht vor, kann das Bundesamt stattdessen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG eine Abschiebungsandrohung erlassen [...]. Bei der Beurteilung des "Feststehens" der Durchführbarkeit der Überstellung hat das Gericht zu prognostizieren, ob die Überstellung innerhalb eines Zeitraums von grundsätzlich sechs Monaten "mit großer Wahrscheinlichkeit" durchgeführt werden kann [...]. Voraussetzung ist aber jedenfalls, dass der Zielstaat zur (Wieder-)Aufnahme bereit ist [...].

7 Bei Zugrundelegung der vorstehenden Maßstäbe steht derzeit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die Überstellung des Antragstellers nach Italien überhaupt oder innerhalb eines überschaubaren Prognosezeitraums durchgeführt werden kann.

8 Es fehlt trotz ordnungsgemäß durchgeführten Dublin-Verfahrens bereits an einer (Wieder-)Aufnahmebereitschaft Italiens [...]. Das italienische Innenministerium hat mit Informationsschreiben vom 5. und 7. Dezember 2022 eine Aufnahme von Schutzsuchenden – mit Ausnahme von Fällen unbegleiteter Minderjährigen im Rahmen des Familiennachzugs – nach Maßgabe der Dublin III-VO unter Berufung auf "technische Gründe" und "fehlende Aufnahmekapazitäten" "zeitlich befristet", aber ohne Nennung eines konkreten Enddatums und damit faktisch unbefristet abgelehnt. [...]

11 Vor diesem Hintergrund kann – jedenfalls im Eilverfahren – dahinstehen, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien derzeit systemische Schwachstellen aufweisen (so Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2023 – 11 A 1722/22.A –, Rn. 46, juris m.w.N.; a.A.: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. Juni 2023 – 7 B 170/23 MD –, juris). [...]