OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.11.2022 - 18 A 1507/22 - asyl.net: M31819
https://www.asyl.net/rsdb/m31819
Leitsatz:

Arzttermin von Prozessbevollmächtigten rechtfertigt Terminsverlegung nur bei Darlegung der Unaufschiebbarkeit:

"1. Ein erheblicher Grund, der eine Terminverlegung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 ZPO rechtfertigt, kann vorliegen, wenn ein Prozessbevollmächtigter geltend macht, er habe einen unaufschiebbaren Arzttermin wahrzunehmen. In einem solchen Verlegungsantrag muss grundsätzlich das Stattfinden des Arzttermins belegt und dargetan werden, dass es sich um eine akute Erkrankung handelt und aus welchen Gründen eine Verlegung des Arzttermins nicht möglich sein soll.

2. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) liegt nicht vor, wenn einem Kläger vor der Entscheidung über die Klage keine Gelegenheit gegeben wurde, auf die in der mündlichen Verhandlung - in der weder er selbst noch sein Prozessbevollmächtigter zugegen waren - seitens des Beklagten erklärte (teilweise) Aufhebung des angegriffenen Bescheides zu reagieren."

(Amtliche Leitsätze; anderer Ansicht hinsichtlich LS. 2: VGH Hessen, Beschluss vom 24.01.2017 - 2 A 592/16.Z - hessen.de)

Schlagwörter: mündliche Verhandlung, Terminsverlegung, Arzttermin, rechtliches Gehör, Aufhebung, Erledigung der Hauptsache, Erledigung, Stellungnahme, Attest,
Normen: ZPO § 227, VwGO § 173 S. 1, GG 103 Abs. 1, VwGO § 108 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Zunächst macht der Kläger mit dem Zulassungsantrag ohne Erfolg die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend, wenn er meint, das Verwaltungsgericht habe dem Terminverlegungsantrag seiner Prozessbevollmächtigten vom 24. Mai 2022 stattgeben müssen, da sie aufgrund eines Arzttermins gehindert gewesen sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

Nach § 227 ZPO, der gemäß § 173 Satz 1 VwGO auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gilt, kann eine mündliche Verhandlung "aus erheblichen Gründen" verlegt oder vertagt werden. [...]

Ein erheblicher Grund kann u.a. darin liegen, dass ein Prozessbevollmächtigter erkrankt [...] bzw. von diesem ein unaufschiebbarer Arzttermin wahrzunehmen ist [...].

Dem verhinderten Beteiligten obliegt es dabei, die erheblichen (Hinderungs-)gründe, auf die er sich beruft, schlüssig und substantiiert darzulegen, so dass das Gericht in die Lage versetzt wird, das Vorliegen eines erheblichen Grunds zu beurteilen und gegebenenfalls eine (weitere) Glaubhaftmachung gemäß 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 2 ZPO zu verlangen [...].

Danach muss im Fall eines Terminverlegungsantrags, der auf einen kollidierenden unaufschiebbaren Arzttermin gestützt wird, grundsätzlich dargetan werden, dass es sich um eine akute Erkrankung handelt. Ferner bedarf es der Erläuterung, aus welchen Gründen eine Verlegung des Arzttermins nicht möglich sein soll. Zudem ist im Regelfall die Vorlage eines Belegs für das Stattfinden des Arzttermins erforderlich. Diesen Anforderungen wurde nicht Genüge getan. [...]

Mit Verfügung vom 27. Mai 2022 (nach 14:40 Uhr) lehnte das Verwaltungsgericht den Terminverlegungsantrag ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, anhand der mitgeteilten Informationen lasse sich die Erheblichkeit des Verhinderungsgrundes nicht überprüfen. Es erscheine ohne weitere Informationen insbesondere nicht plausibel, dass ein Facharzt-Termin, auf den fünf Monate gewartet worden sei, aus gesundheitlichen Gründen unaufschiebbar sei.

Die Ablehnung des Terminverlegungsantrags durch das Verwaltungsgericht ist nach den obigen Maßstäben nicht zu beanstanden. In der Begründung des Terminverlegungsantrags fehlt es zum einen an jeglichen Ausführungen zur Dringlichkeit des Arzttermins. Vielmehr spricht schon gegen die Dringlichkeit, dass die Prozessbevollmächtigte nach ihren eigenen Angaben seit Januar 2022 - also seit ca. vier Monaten - auf den Termin wartet. Der Hinweis, es handele sich um einen kleinen invasiven Eingriff bei einem Facharzt, ist insofern unergiebig. Zum anderen mangelt es an einem schlüssigen Vortrag, warum der Termin nicht verschoben werden könnte. Die Prozessbevollmächtigte räumt insofern selbst ein, der Termin sei kurzfristig verlegt worden, wobei unklar bleibt, warum und auf wessen Veranlassung. Aus welchem Grund es dann nicht möglich sein soll, einen Termin zu finden, der nicht mit dem Termin zur mündlichen Verhandlung kollidiert, wird nicht ansatzweise nachvollziehbar erläutert. Die bloße Behauptung, eine Verlegung sei aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, es gebe auch Folge-Therapien, erschließt sich ohne nähere Ausführungen dazu nicht.

Die gegen die Begründung des Verwaltungsgerichts im Zulassungsverfahren vorgebrachten Einwände des Klägers greifen nicht durch. [...] Der Vorwurf, es würde eine detaillierte Darlegung verlangt, die nicht notwendig sei, es könne nicht sein, dass die Prozessbevollmächtigte "ihren gesundheitlichen Lebenslauf dem Gericht für einen erstmaligen Aufhebungstermin" darlegen müsse, ist nicht tragfähig. Denn nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trifft denjenigen, der die Terminverlegung begehrt, die Darlegungslast für das Vorliegen erheblicher Gründe. [...]

Ferner sieht der Kläger zu Unrecht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) darin, dass ihm vor der Entscheidung über die Klage keine Gelegenheit  gegeben wurde, auf die in der mündlichen Verhandlung - in der weder er selbst noch seine Prozessbevollmächtigte zugegen waren - seitens des Beklagtenvertreters erklärten teilweisen Aufhebung des angegriffenen Bescheides zu reagieren.

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) wegen der aufgrund von Abwesenheit fehlenden Möglichkeit, auf prozesserhebliches Verhalten anderer Beteiligter in der mündlichen Verhandlung zu reagieren, kommt trotz ordnungsgemäßer Ladung samt Belehrung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO - und ggfls. rechtmäßiger Ablehnung eines Terminverlegungsantrags - in Betracht, wenn eine unzulässige Überraschungsentscheidung in Mitten steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 1980 - 5 C 18.79 -, juris, Rn. 20; OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Juni 2020 - 7 LA 40/19 -, juris, Rn. 7).

Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. September 2022- 7 B 4.22 -, juris, Rn. 8).

Nicht zu rechnen braucht der jeweilige Beteiligte mit einer Änderung des Streitgegenstands in Form der Klageänderung [...].

Anders verhält es sich jedoch, wenn der Behördenvertreter den angegriffenen Bescheid in der mündlichen Verhandlung (teilweise) aufhebt. Hiermit müssen Kläger rechnen [...].

Das ergibt sich aus Folgendem: Gemäß § 104 Abs. 1 VwGO hat der Vorsitzende die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern. Hiervon umfasst sind Hinweise auf eine vorläufige Einschätzung von Rechts- und Tatfragen [...].

Von derartigen Hinweisen wird in der Praxis reger Gebrauch gemacht. Diese führen auch in nicht wenigen Fällen zu einer Änderung der behördlichen (Rechts-) Auffassung. Damit einhergehend können Behördenvertreter unter Berücksichtigung ihrer Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) gehalten sein, Verfügungen ganz oder teilweise aufzuheben. In der Folge werden in mündlichen Verhandlungen des Öfteren entsprechende Erklärungen abgegeben. Hierauf müssen sich Kläger einstellen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Juni 2020- 7 LA 40/19 -, juris, Rn. 8). [...]