VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 11.05.2023 - 3 K 727/21.A - asyl.net: M31798
https://www.asyl.net/rsdb/m31798
Leitsatz:

Abschiebungsverbot aufgrund PTBS für Person aus Kamerun: 

Droht im Herkunftsland eine Retraumatisierung und aufgrund dessen - unabhängig von der Verfügbarkeit und Erreichbarkeit entsprechender Behandlungsmöglichkeiten - eine ernsthafte Verschlechterung des psychischen Krankheitsbildes mit der hohen Wahrscheinlichkeit eines Suizidversuchs, ist ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Kamerun, Posttraumatische Belastungsstörung, Retraumatisierung, Suizidalität, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, homosexuell,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

c. Dies vorausgeschickt, ist das Gericht vorliegend davon überzeugt, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an einer posttraumatischen Belastungsstörung nach F43.1 leidet. [...]

Der Kläger befindet sich seit Anfang Juli 2020 - mithin seit drei Jahren - in ambulanter psychiatrischer Behandlung. Die medikamentöse Behandlung umfasst das Antidepressivum Sertralin (75 mg morgens) sowie das Neuroleptikum Olanzapin (5 mg nur Nacht) sowie Melperon (bis zu 50 mg zur Nacht). Mittlerweile finden ca. 30-minütige Sitzungen mit Dr. Brauns im dreimonatigen Rhythmus statt. Flankiert wird die Behandlung durch eine ambulante traumatherapeutische Behandlung durch die Dipl.-Psych. ..., Psychotherapiepraxis in ..., mit wöchentlichen Sitzungen im Umfang von 50 bis 100 Minuten seit dem ... 2022.

Der in der mündlichen Verhandlung vernommene Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. ..., hat die vorgenannte Diagnose bestätigt und unter Berücksichtigung der sich bei der Akte befindlichen ärztlichen Berichte und Stellungnahmen in glaubhafter und nachvollziehbarer Weise seine Erkenntnisse und Einschätzungen geschildert. [...]

d. Angesichts dieser Diagnose ist vorliegend eine erhebliche, konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1, Satz 3 AufenthG anzunehmen. Diese ist in den fachärztlichen Stellungnahmen in ausreichender Weise dargelegt. [...]

Bei einer Rückkehr nach Kamerun droht dem Kläger angesichts seiner Erkrankung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr - bzw. Lebensgefahr -, welche die oben dargestellten Anforderungen erfüllt.

Nach fachärztlicher Einschätzung ist im Falle des Ausbleibens der aktuellen Behandlungs- und Unterstützungsmaßnahmen eine erneute Verschlechterung des psychiatrischen Krankheitsbildes des Klägers zu erwarten. Dabei wird die hohe Wahrscheinlichkeit eines Suizidversuchs für immanent eingeschätzt. Zwar sind im Herkunftsland des Klägers in den großen Städten grundsätzlich auch psychische Erkrankungen behandelbar. Nach der glaubhaften Stellungnahme des Zeugen wäre im Falle der Rückkehr nach Kamerun jedoch - unabhängig von etwaigen Behandlungsmöglichkeiten vor Ort - mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit eine Retraumatisierung zu erwarten. Mit der Retraumatisierung würde sodann - so die fachärztliche Einschätzung - für den Kläger die extrem hohe Gefahr eines Suizidversuchs einhergehen.

Den vorbenannten Ausführungen und den gestellten Diagnosen liegen glaubhaft geschilderte, traumatische Erlebnisse des Klägers zugrunde. [...]