Rechtswidrige Abschiebungsandrohung bei Nichtberücksichtigung familiärer Bindungen:
Die familiären Bindungen sind bereits bei Erlass der Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen (hier: Mutter eines acht Monate alten Kindes, dem aufgrund syrischer Staatsangehörigkeit der subsidiäre Schutz zugesprochen wurde, wobei die Mutter die bahrainische Staatsangehörigkeit hat und über keinen Aufenthaltstitel verfügt). Die familiären Bindungen erst im Rahmen der Duldungserteilung zu berücksichtigen, genügt den unionsrechtlichen Anforderungen nicht.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: EuGH, Beschluss vom 15. Februar, EuGH - C-484/22 BR Deutschland gg. GS - asyl.net: M31329; siehe auch: VG Berlin, Urteil vom 06.04.2023 - 34 K 21/22 A (Asylmagazin 6/2023, S. 234 f.) - asyl.net: M31492))
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Bei einer Abschiebungsandrohung handelt es sich um eine Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 3 Nr. 4, Art. 6 der Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - im Folgenden: RRL -; BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, Rn. 41, juris; OVG Bremen, Beschluss vom 09.06.2023 - 2 B 19/23 -, Rn. 33, juris). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind bereits bei Erlass einer Rückkehrentscheidung, neben den weiteren im nationalen Recht normierten Voraussetzungen, das Kindeswohl, familiäre Bindungen und der Gesundheitszustand zu prüfen und ggf. zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Beschluss vom 15.02.2023 - C-484/22 - , Rn. 27, juris; OVG Bremen, Beschluss vom 09.06.2023 - 2 B 19/23 -, juris). Nach Art. 5 lit. a) und b) RRL berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in gebührender Weise das Wohl des Kindes und familiäre Bindungen. Art. 5 RRL verwehrt es somit einem Mitgliedstaat, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, ohne die relevanten Aspekte des Familienlebens des betreffenden Drittstaatsangehörigen zu berücksichtigen, die er geltend macht, um den Erlass einer solchen Entscheidung zu verhindern. Die Pflicht zur Beachtung des Kindeswohls gilt nicht nur dann, wenn die Rückkehrentscheidung gegen einen Minderjährigen ergeht, sondern auch dann, wenn sie gegen einen Elternteil ergeht. Dabei sind Art. 7 und Art. 24 Abs. 2 EU-GrCh zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 11.03.2021 - C-112/20, Rn. 33 ff., juris). Diese Prüfung erst im Rahmen der Duldungserteilung (§ 60a AufenthG) vorzunehmen, genügt den unionsrechtlichen Anforderungen nicht (vgl. EuGH, Beschluss vom 15.02.2023 - C 484/22 -, Rn. 27 f., juris, OVG Bremen, Beschluss vom 09.06.2023 - 2 B 19/23 -, Rn. 33, juris). [...]
Indes stehen bei summarischer Prüfung nach der maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage die familiären Bindungen der Antragstellerin einer Abschiebung und damit dem Erlass der Abschiebungsandrohung nach Bahrain entgegen. Die Antragstellerin ist Mutter einer erst acht Monate alten Tochter. Eine Trennung von dieser kommt daher nicht in Betracht. Dass die Tochter ihre Mutter (dauerhaft) nach Bahrain begleiten kann, ist bei summarischer Prüfung derzeit nicht zu erkennen, denn die Tochter ist syrische Staatsangehörige und es fehlt an Reisedokumenten. Offenbleiben kann daher derzeit, inwieweit einer Ausreise der Tochter nach Bahrain zudem eine möglicherweise dadurch erfolgende Trennung vom nicht sorgeberechtigten Vater entgegensteht. Dass eine Ausreise der Tochter nach Syrien aufgrund der asylrechtlichen Schutzgewährung nicht in Betracht kommt, ist unerheblich, denn die Antragstellerin soll nach Bahrain abgeschoben werden. [...]