LG Nürnberg-Fürth

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Zitieren als:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 19.07.2023 - 18 T 2549/23 - asyl.net: M31734
https://www.asyl.net/rsdb/m31734
Leitsatz:

Geplante Festnahme bedarf auch bei Unwägbarkeiten vorheriger richterlicher Anordnung:

Auch wenn die Ausländerbehörde nicht mit Gewissheit davon ausgehen kann, dass eine Person bei einer Maßnahme (hier: Durchsuchung durch Strafverfolgungsbehörden) angetroffen und festgenommen werden kann, bedarf es gemäß Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG der vorherigen richterlichen Anordnung, wenn die Festnahme konkret geplant ist. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Haftbeschluss, Festnahmebeschluss, geplante Festnahme, Amtshilfe, Freiheitsentziehung,
Normen: GG Art. 104 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 62 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind bereits von Verfassung wegen Grundsätze zu beachten, wann eine vorherige richterliche Entscheidung nach § 62 Abs. 5 AufenthG erforderlich ist:

Die Freiheitsentziehung erfordert nach Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. [...]

Sofern eine Ausländerbehörde eine Freiheitsentziehung konkret plant, bedarf diese Freiheitsentziehung regelmäßig einer vorherigen richterlichen Anordnung; Vollzugsbeamte der Polizei, die von der Ausländerbehörde gebeten worden sind, einen Ausländer im Wege der Amtshilfe in Gewahrsam zu nehmen, können sich in diesem Fall regelmäßig nicht mit Erfolg darauf berufen, dass zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung eine richterliche Anordnung nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden könne (BVerfG NVwZ 2009, 1034, 1035).

Anders liegt der Fall, wenn ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer untertaucht und infolgedessen für die zu diesem Zeitpunkt zuständige Ausländerbehörde nicht mehr greifbar ist. Dann ist nicht absehbar, ob später die Abschiebungshaftvoraussetzungen vorliegen und welche Behörde gegebenenfalls für eine Ingewahrsamnahme zuständig sein wird; in einem solchen Fall kann die Festnahme im Falle des Aufgreifens des betroffenen Ausländers lediglich abstrakt geplant sein, da weder Aufgriffsort noch -zeitpunkt abgeschätzt werden können. [...]

Nach diesen Maßstäben war im hiesigen Fall eine vorherige richterliche Anordnung einzuholen. Denn der Beschwerdeführer wurde auf Grund einer Durchsuchung an seinem Arbeitsplatz, welche im Voraus konkret geplant war, festgenommen. Es handelt sich daher um eine geplante Festnahme im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des BVerfG, für welche eine vorherige richterliche Anordnung der Ingewahrsamnahme eingeholt werden kann und muss.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Ausländerbehörde nicht mit Gewissheit davon ausgehen konnte, dass der Beschwerdeführer bei der Durchsuchung angetroffen werde, sondern lediglich ein vager Verdacht bestand, ob der Beschwerdeführer bei der Durchsuchung angetroffen wurde. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Durchsuchungsbeschluss nicht durch die Ausländerbehörde zur Ergreifung des Beschwerdeführers beantragt wurde, sondern auf Grund einer strafprozessualen Maßnahme erfolgte.

Dies ist auch sachgerecht. Denn die Ausländerbehörde hatte Kenntnis von der konkret geplanten Durchsuchung und die Festnahme war für den Fall des Aufgreifens des Beschwerdeführers geplant. [...]