VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Urteil vom 14.03.2023 - 3 K 493/18 We - asyl.net: M31717
https://www.asyl.net/rsdb/m31717
Leitsatz:

Zeitlich begrenzte Haftung aus Verpflichtungserklärung wegen Ergänzung auf Formular:

Mit der maschinenschriftlichen Eintragung "für 90 Tage" in der Rubrik "voraussichtliche Dauer des Aufenthalts" wurde auf dem Formular der Verpflichtungserklärung zu § 68 AufenthG eine individuelle Begrenzung des Haftungszeitraums bestimmt. Erstattungsbescheide für den daran anschließenden Zeitraum sind rechtswidrig.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Verpflichtungserklärung, Auslegung, Haftung, Dauer,
Normen: AufenthG § 68 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Der angefochtene Leistungsbescheid des Beklagten vom 01.03.2018 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 11.01.2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). […]

Gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG [...] hat, wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden [...].

Der Kläger hat vorliegend [...] eine wirksame Verpflichtungserklärung abgegeben. [...]

Die Verpflichtungserklärung kann aber nicht so verstanden werden, dass sie den hier streitgegenständlichen Bezugszeitraum erfasst. [...]

Den Ausgangspunkt für die Auslegung bildet der Wortlaut der Erklärung. Auf Seite 1 des Vordrucks ist unter der Rubrik "Dauer der Verpflichtung" aufgeführt, dass sich der Kläger verpflichte, die Kosten für den Lebensunterhalt der Frau ... "vom Tag der voraussichtlichen Einreise in die Bundesrepublik am ... 2016 bis zur Beendigung [ihres] Aufenthalts oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck" zu tragen. [...]

Allerdings hat der Kläger vorliegend mit der - durch die Ausländerbehörde Erfurt - vorgenommenen  maschinenschriftlichen Eintragung "… 2016 für 90 Tage" auf Seite 2 der Erklärung unter der Rubrik "Bemerkungen" bei "voraussichtliche Dauer des Aufenthalts" letztlich eine von der Formulierung in der Rubrik "Dauer der Verpflichtung" abweichende individuelle Begrenzung der Verpflichtung bestimmt. Diese enthält zwar kein konkretes Datum, mit dessen Ablauf die Verpflichtung enden soll. Gleichwohl wird aus der Formulierung "20.05.2016 für 90 Tage", der Wille des Erklärenden deutlich, seine Haftung in zeitlicher Hinsicht zu beschränken. Im Zusammenspiel mit der darunter erfolgten Angabe, dass "Zweck des Aufenthalts" ein "Besuchsaufenthalt" sei, wird deutlich, dass sich die Verpflichtung des Klägers auf die - visumsbedingt - maximal mögliche Dauer der Besuchsreise der Frau ... von 90 Tagen beschränken sollte. Dies war auch für den Erklärungsempfänger - obwohl es auf dessen Sicht wie dargelegt bei der Verwendung eines Vordrucks nicht maßgeblich ankommt - erkennbar, da er diese Eintragung in das Formular selbst maschinenschriftlich vorgenommen hat.

Der Widerspruch zwischen dem vorformulierten Text in der Rubrik "Dauer der Verpflichtung" (Haftung bis zur Beendigung des Aufenthalts oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck) und der Eingabe in der Rubrik "voraussichtliche Dauer des Aufenthalts" ("… 2016 für 90 Tage") ist dahingehend aufzulösen, dass sich vorliegend die individuelle Haftungsbeschränkung durchsetzt. [...]

Dass Eintragungen in den Rubriken "Voraussichtliche Dauer des Aufenthalts" sowie "Zweck des Aufenthalts" lediglich der Information der Auslandsvertretung für die Visumerteilung dienen (vgl. Merkblatt Nr. 5 "Gültigkeitsdauer") lässt sich dem Vordruck selbst nicht entnehmen. Es lag - jedenfalls aus Laiensicht - auch nahe, die Dauer des Aufenthaltes mit der Dauer seiner Haftung gleichzusetzen, da ausweislich der Formulierung in der Rubrik "Dauer der Verpflichtung" neben der Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck gerade die Beendigung des Aufenthalts die Verpflichtung begrenzt. In diesem Sinne durfte der Kläger seine Angabe "… 2016 für 90 Tage" im Zuge der voraussichtlichen Dauer des Aufenthaltes als Konkretisierung der aufenthaltsbezogenen Haftung verstehen. Gerade die Verwendung des Begriffs "für 90 Tage" macht - im Vergleich etwa zur bloßen Angabe eines datumsmäßig bestimmten Zeitraumes - den Willen des Klägers zur Beschränkung seiner Verpflichtung deutlich [...].

Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass der Widerspruch zwischen den unterschiedlichen Angaben in der Erklärung nicht aufzulösen wäre, gingen die damit verbundenen Unklarheiten und Zweifel hinsichtlich der Dauer der Verpflichtung jedenfalls zu Lasten des Formularverwenders, der Ausländerbehörde [...]. In diesem Zweifelsfall wäre zugunsten des Klägers wiederum von einer Beschränkung der Dauer seiner Verpflichtung auszugehen.

Diese Zweifel am Umfang der Haftung sind nicht zuletzt auf die konkrete Ausgestaltung des Formulars zurückzuführen. Sie wird der Bedeutung der Sache, nämlich der Abgabe einer Verpflichtungserklärung mit grundsätzlich weitreichender Haftung, nicht gerecht. Dies ergibt sich bereits aus der sehr geringen Schriftgröße, die bei der Beschreibung des genauen Inhaltes der Verpflichtungserklärung verwendet wurde, insbesondere in der Rubrik Dauer der Verpflichtung und auf Seite 2 bei den Hinweisen zum Umfang der Verpflichtung. Eine Hervorhebung - etwa durch größere Schrift oder Fettdruck - von Dauer und Umfang der Verpflichtung, den für den Erklärenden besonders bedeutsamen Angaben, ist nicht erfolgt. Demgegenüber ist die Angabe "… 2016 für 90 Tage" in der Rubrik "voraussichtliche Dauer des Aufenthalts" in einer deutlich größeren Schrift aufgeführt. [...]

Nicht mehr entscheidungserheblich sind nach alledem die weiteren Fragen, ob eine ordnungsgemäße Bonitätsprüfung durch die die Erklärung entgegennehmende Ausländerbehörde [...] stattgefunden hat und ob die Beklagte im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Heranziehung des Klägers zur Erstattung der angefallenen Kosten einen atypischen Fall hätte annehmen und entsprechende Ermessenserwägungen hätte anstellen müssen. [...]