Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung:
Der Behörde ist keine "Schadensminderungspflichtverletzung" anzulasten, nur weil der Verpflichtungsgeber frühzeitig angeboten hatte, die Asylantragstellerin bei sich in der Wohnung aufzunehmen, sodass keine Kosten für Unterkunft entstehen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
18 1. Die Voraussetzungen nach § 68 Abs. 1 AufenthG sind erfüllt.
19 Die vom Kläger abgegebene Verpflichtungserklärung ist formwirksam und erstreckt sich in sachlicher Hinsicht auf die hier zu erstattenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz [dazu a)]. Die damit begründete Haftung dauerte in dem hier in Rede stehenden Leistungszeitraum noch an [dazu b)] und wurde auch nicht dadurch beendet, dass Frau ... (nachfolgend: Begünstigte) nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet einen Asylantrag stellte und ihr der Aufenthalt für die Durchführung des Asylverfahrens gestattet wurde [dazu c)]. [...]
21 Zweifel an der Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung bestehen nicht. Diese ist insbesondere nicht vom Kläger wirksam angefochten worden; insoweit fehlt es bereits an einer entsprechenden Anfechtungserklärung. Davon abgesehen ist ein relevanter Anfechtungsgrund nicht ersichtlich. Soweit der Kläger vorträgt, er habe nicht vorhersehen können, dass die Begünstigte einen Asylantrag stellen werde, handelt es sich jedenfalls um einen unbeachtlichen Motivirrtum (vgl. dazu OVG Münster, Urt. v. 8.12.2017, 18 A 1040/16, juris Rn. 62 m.w.N.), der im Rahmen des § 119 Abs. 1 BGB nicht zur Anfechtung berechtigt. [...]
24 aa) Die Verpflichtungserklärung des Klägers ist nicht auf die Gültigkeitsdauer des der Begünstigten erteilten nationalen Visums beschränkt. [...]
27 bb) Die Verpflichtungserklärung ist auch nicht aufgrund eines Belehrungsmangels in ihrer Wirksamkeit beschränkt. [...]
30 2. Der streitgegenständliche Betrag ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zugunsten der Begünstigten im streitgegenständlichen Zeitraum insgesamt 3.491,35 EUR öffentliche Mittel für den Lebensunterhalt aufgewendet. Begründete Zweifel an dem Anfallen von Kosten in dieser Höhe sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
31 3. Die Heranziehung des Klägers zur Erstattung der erbrachten Leistungen steht schließlich im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. [...]
34 Soweit der Kläger vorträgt, er habe der Beklagten frühzeitig angeboten, die Begünstigte nach ihrer Asylantragstellung bei ihm unterzubringen, so dass ein großer Teil der aus der Verpflichtungserklärung geltend gemachten Kosten nicht angefallen wäre, wenn die Beklagte diesem Anliegen früher nachgekommen wäre, vermag er damit keine "Schadensminderungspflichtverletzung" der Beklagten aufzuzeigen.
35 Nach § 47 Abs. 1 AsylG haben volljährige Asylbewerber bis zur Entscheidung über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung, längstens jedoch bis zu 18 Monate in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Die Begünstigte war demnach seit der Stellung ihres Asylantrags am 27. Januar 2020 verpflichtet, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen. Die Wohnpflicht soll gewährleisten, dass der Ausländer für die zuständigen Behörden und Gerichte (jederzeit) erreichbar ist.
36 Die Wohnverpflichtung kann nach § 49 Abs. 2 AsylG aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge sowie aus sonstigen Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, insbesondere zur Gewährleistung der Unterbringung und Verteilung, oder aus anderen zwingenden Gründen beendet werden. Die Wohnverpflichtung der Begünstigten wurde – offenbar nach Maßgabe des § 49 Abs. 2 AsylG – zum 28. Juli 2020 aufgehoben; sie fand Aufnahme in privatem Wohnraum, nach Auskunft des Klägers bei dessen Bruder.
37 Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger als nicht am Asylverfahren Beteiligter überhaupt darauf berufen kann, dass die Begünstigte nach § 49 Abs. 2 AsylG früher von der Wohnverpflichtung hätte entbunden werden müssen. Denn jedenfalls ist ein solcher Anspruch auf eine frühere Aufhebung der Wohnverpflichtung vorliegend nicht ersichtlich. Zwar werden im Rahmen des § 49 Abs. 2 AsylG auch private Belange des Ausländers berücksichtigt. Allerdings ist das Ermessen nach § 49 Abs. 2 AsylG nur ganz ausnahmsweise so weit reduziert, dass die Wohnverpflichtung aufgehoben werden muss (vgl. Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 35. Edition, Stand: 1.10.2022, § 49 AsylG Rn. 8 m.w.N.). In Betracht kommt die Aufhebung der Wohnverpflichtung ferner bei "besonders gelagerten Härtefällen" (vgl. BT-Drs. 12/2718, 61). Denkbar wäre dies bspw. dann, wenn ein Ausländer auf die Unterstützung von Familienangehörigen, die sich nicht in der Aufnahmeeinrichtung befinden, angewiesen ist, oder – in der umgekehrten Konstellation – wenn ein auswärtiger Familienangehöriger auf die Unterstützung des in der Aufnahmeeinrichtung wohnenden Ausländers angewiesen ist (vgl. Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 35. Edition, Stand: 1.10.2022, § 49 AsylG Rn. 8 m.w.N.). Ein solcher Fall lag indes nicht vor bzw. fehlt es an einer hinreichenden Substantiierung. Die Begünstigte litt, soweit ersichtlich, an keinen relevanten (Vor-)Erkrankungen. Soweit dagegen vorgetragen wurde, dass die Schwester der Begünstig-ten, ..., an erheblichen Erkrankungen leide und die Begünstigte eine sehr enge Bezugsperson für Frau ... sei, die sich auch mit deren Erkrankungen auskenne, wurde weder eine Ermessensreduzierung auf Null noch ein Härtefall im Sinne des § 49 Abs. 2 AsylG dargetan. Insbesondere wurde nicht substantiiert vorgetragen oder nachgewiesen, dass Frau ... zwingend auf eine durchgehende Betreuung durch die Begünstigte angewiesen gewesen wäre. Dies ergibt sich auch nicht aus der ärztlichen Bescheinigung vom ... 2020 der Frau Dr. med. ... (vgl. S. 309 der Asylakte der Frau ...). Aus dieser ergibt sich sinngemäß nur, dass eine gemeinsame Unterbringung der Schwestern in privatem Wohnraum aus medizinischer Sicht wünschenswert bzw. sinnvoll wäre. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Schwester der Begünstigten bei Verwandten untergekommen war, so dass sich unterstützungsbereite Personen im unmittelbaren Umfeld befunden haben dürften und die Wohnverpflichtung die Begünstigte nicht daran gehindert haben dürfte, ihre Schwester (tagsüber) häufig zu treffen und sich um diese zu kümmern. Vor diesem Hintergrund vermag das Gericht keinen Anspruch der Begünstigten zu erkennen, zu einem früheren Zeitpunkt als dem 28. Juli 2020 von der Wohnverpflichtung entbunden zu werden. [...]