Rechtswidriger Erstattungsbescheid wegen fehlender Bonitätsprüfung des Verpflichtungsgebers:
"1. Zu den relevanten Umständen, die die öffentliche Stelle, die einen Erstattungsanspruch aus einer aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 AufenthG geltend zu machen beabsichtigt, ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen und nach § 24 Abs. 1 VwVfG selbst festzustellen hat, gehört auch, ob die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im aufenthaltsrechtlichen Verwaltungsverfahren hinreichend geprüft worden sind (Rn. 20).
2. Die Sachverhaltsermittlungspflicht kann ihrerseits im Einzelfall durch die verfahrensrechtliche Mitwirkungslast der Betroffenen nach § 26 Abs. 2 S. 1 VwVfG eingeschränkt sein (Rn. 21).
3. Es spricht viel dafür, dass die unzureichende Prüfung der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren der Ausländerbehörde allein nicht zur Annahme eines die Ausübung von Ermessen im Rahmen von § 68 Abs. 1 AufenthG gebietenden Ausnahmefalls ausreicht, sondern dies vielmehr eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls erfordert (Rn. 29)."
(Amtliche Leitsätze, unter Bezug auf OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.11.2019 - 7 A 11069/18.OVG - asyl.net: M28730)
[...]
13 Der zulässige Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. [...]
16 a) Ohne Erfolg wendet der Beklagte ein, das Verwaltungsgericht übersehe bei seiner Auffassung, aufgrund der - seiner Ansicht nach - nicht hinreichenden Prüfung der Einkommensverhältnisse des Klägers durch die Ausländerbehörde liege ein atypischer Fall vor, dass dies für ihn - den Beklagten - weder zum Zeitpunkt des Erlasses des Grundbescheides noch des Erlasses des Widerspruchbescheides zu erkennen gewesen sei [...].
20 Nach dem Untersuchungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 VwVfG ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Es ist danach grundsätzlich Aufgabe der Behörde, alle relevanten Umstände, die sie ihrer Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen hat, selbst festzustellen [...]. Zu den relevanten Umständen, die die öffentliche Stelle, die einen Erstattungsanspruch nach § 68 Abs. 1 AufenthG geltend zu machen beabsichtigt, ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen hat, gehört nach der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 18.4.2013, 10 C 10.12, BVerwGE 146, 198, juris Rn. 31) auch, ob die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren geprüft worden sind. [...] Im Falle der Feststellung einer nicht hinreichenden Prüfung der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren der Ausländerbehörde hätte der Beklagte nicht die Entscheidung der Ausländerbehörde aufzuheben, sondern dies bei der Entscheidung, ob über die Rückforderung nach § 68 Abs. 1 AufenthG aufgrund des Vorliegens eines atypischen Falles im Ermessenswege zu entscheiden ist, zu berücksichtigen. Die erforderliche fachliche Kompetenz sowie die erforderliche Zeit für die ihm obliegende Prüfung hat er sich zu verschaffen.
21 [...] Die Sachverhaltsermittlungspflicht findet dort ihre Grenzen, wo ein Beteiligter zu Fragen Aufklärung geben kann, dies aber unterlässt, obwohl ihm die Bedeutung für das Verfahren bewusst sein muss und die Aufklärung von ihm im Rahmen seiner Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts gemäß § 26 Abs. 2 VwVfG auch erwartet werden kann, weil sie ihm zumutbar ist. [...] Mit diesen Vorgaben wäre es aber nicht zu vereinbaren, die Sachverhaltsermittlungspflicht des Beklagten hier aufgrund der verfahrensrechtlichen Mitwirkungslast der Kläger nach § 26 Abs. 2 Satz 1 VwVfG zu verneinen.
22 Die Prüfung der Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren fällt in die Sphäre der Ausländerbehörde. Die öffentliche Stelle, der der Erstattungsanspruch nach § 68 Abs. 1 AufenthG zusteht, kann sich die der Entscheidung der Ausländerbehörde zugrundeliegenden Erkenntnisse, soweit diese dokumentiert worden sind, durch Beiziehung der Akten verschaffen. [...]
28 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein Regelfall vor, in dem der nach § 68 AufenthG Verpflichtete zur Erstattung heranzuziehen ist, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung führen könnte. Hingegen hat die erstattungsberechtigte Stelle bei atypischen Gegebenheiten im Wege des Ermessens zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird. Wann in diesem Sinne ein Ausnahmefall vorliegt, ist anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden [....
29 Danach spricht viel dafür, dass die unzureichende Prüfung der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren der Ausländerbehörde allein nicht zur Annahme eines Ausnahmefalls ausreicht, sondern dies vielmehr eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls erfordert. [...]